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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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umspielt deine nackten Füße. Die Kinder rennen vor dir her, suchen Muscheln, bewerfen sich mit nassem Sand. Möwen fliegen kreischend auf. Die Abendsonne lässt die bunten Kleider der Kinder erstrahlen. Stefan hat den Arm um dich gelegt. Es riecht nach Meer. Der Wind spielt mit deinem Haar.
    Ich strengte mich wirklich an, keine Platzangst, keine Todesangst zu bekommen. Doch meine medizinischen Kenntnisse störten meine verzweifelten Versuche, mich ins Paradies zu träumen. Verdammt! Ich konnte einfach nicht verdrängen, was da gerade mit mir geschah. Bei einer Computertomografie wird der ganze Körper mit einem feinen Röntgenstrahl in dünnen Querschnitten erfasst: Bauch, Brust, Schädel. Die Dunkelheit und Enge in der Röhre brachten mich beinahe um den Verstand. Mein Herz fing an zu rasen. Wasser! Wenigstens einen kleinen Schluck! Stefan! Hilfe, ich …
    Ach aus dieses Tales Gründen
Die der kalte Nebel drückt
Könnt ich doch den Ausgang finden
Ach wie fühlt ich mich beglückt
Dort erblick ich schöne Hügel
Ewig jung und ewig grün
Hätt ich Schwingen hätt ich Flügel
Nach den Hügeln zög ich hin
    Danke, Friedrich von Schiller! Es gelang mir wieder, mich wegzufantasieren. Stefan, ich und die Kinder liefen Hand in Hand über den Markusplatz. Die Kinder jagten Tauben. Alles war in ein weiches, pastellfarbenes Licht getaucht. Ich zwang mich, die Kinder genau zu betrachten: Mini hatte ein türkisfarbenes Kleidchen an, ihre kleine Schwester Charline das gleiche in Rosa. Sie besaßen Krägelchen mit handgeklöppeltem Spitzenbesatz. Die Kleider hatten wir in einem tollen Geschäft gleich um die Ecke erworben. Die Jungs Konstantin und Carlos trugen hellblaue Hemden und kurze Hosen. Stefan hatte Sneakers an. Er sah lässig aus, männlich. Seine Augen blitzten. Er filmte die Kinder. Er lachte.
    »Welches Hotel nehmen wir heute Abend?«, fragte ich ihn keck. Im Hintergrund glitt das Kreuzfahrtschiff mit Ralph und Nina tutend in den Hafen. »Bitte keine Kaschemme, wenn’s recht ist!«
    »Lass mich nur machen, Kleines. Verlass dich auf mich!«
    Wir tranken gerade ein Glas kühlen Weißwein, ich spürte seinen frischen, herben Geschmack auf der Zunge. Ein rot-gold uniformiertes Kaffeehausorchester spielte schmissige Melodien. Der Geiger hatte jede Menge Pomade im Haar. Er warf mir einen verführerischen Blick aus dunkelbraunen Augen zu. Natürlich, ich war ja blond, schlank, eine strahlende Schönheit! Flirte du ruhig mit mir, du pomadiger Geiger! Dehne dein Vibrato ins Unendliche aus! Aber mein Traummann ist und bleibt Stefan.

    »Wir gehen ins Danieli, direkt an der Lagune. Wir nehmen eine geräumige Suite im venezianischen Palazzo!«
    »Stefan! Ist das nicht viel zu teuer? Ich meine, für eine Großfamilie …«
    Stefan lachte sein dunkles, kehliges Lachen. Er wirbelte mich im Kreis herum, dass meine Haare nur so flogen. Sie waren lang und dick. »Für meine Prinzessin und unsere Nachwuchsstars ist das Beste gerade gut genug. Wofür habe ich wohl in den letzten Jahren so hart gearbeitet? Wir können es uns leisten, Konstanze! Du und ich! Wir haben es geschafft, mit unserem Fleiß und unserer Disziplin! Wir sind am Ziel! Schau nur!«
    Ich sah uns in einer leise schwankenden Gondel vor dem Hotelpalast vorfahren und hörte es plätschern. Die Pagen mit ihren weißen Kappen über der roten Uniform halfen den Kindern und mir heraus. Wir schwebten über dunkelrote Teppiche. Der Aufzug trug uns lautlos nach oben in unsere Suite mit Blick über den Canal Grande. Ich öffnete die breiten Flügeltüren und sog den Duft des Meeres ein. Die Sonne verschwand gerade wie ein blutroter Ball hinter den vielen Kirchtürmen und Palästen. Irgendwo läuteten die Abendglocken, und unten sang der Gondoliere.
    Endlich zogen sie mich raus. Ich musste blinzeln, als ich in das grelle Neonlicht sah. Stefan streichelte meine Hand. »Du hast es geschafft, Liebes! Wieder mal eine Hürde genommen. Wo warst du?«
    »In Venedig … Stefan, warum sagen die nichts? Warum kommt der Arzt nicht?«

    »In Venedig? Genau dahin fahren wir, Konstanze. Sobald das hier vorüber ist.« Stefan drückte mir lang und fest die Hand. Seine war warm und spendete Geborgenheit. Meine war eiskalt und feucht vor Angst.
    Die Assistentinnen hantierten ziemlich lange mit den Messungen herum, sahen sich gegenseitig fragend an und taten so, als hätten sie nichts Besseres zu tun, als die Spule des CTs neu einzusetzen.
    »Was ist mit den CT-Bildern?« Trotz meines Schwindels

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