Himmel voll Blut - DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
stehen, als ich merkte, daß Vinnie nicht mehr neben mir saß. Einen schrecklichen Augenblick lang stellte ich mir vor, sie hätten ihn doch irgendwie erwischt. Sie hatten ihn umgebracht wie die anderen und waren jetzt auf dem Weg zurück, um auch mich zu erledigen. Dann hörte ich ihn hinter mir.
»Guten Morgen«, sagte er. Er arbeitete an einem langen Stock, aus dessen Ende er eine scharfe Spitze schnitzte. Das Isolierband war noch um seinen Kopf gewickelt. Die schwarzen und roten Streifen waren zu zwei großen verschmierten Flecken auf seinem Gesicht verlaufen.
»Hast du da ein Messer?«
»Nur ein kleines Taschenmesser. Zu klein, um jemandem damit wehzutun.« Er legte den Stock weg und begann mit der Arbeit an einem anderen. »Ja, wenn du deinen Revolver mithättest …«
Ich mußte nachdenken. »Mein Revolver liegt in diesem Moment auf dem Grund vom Lake Superior.«
»Zu dumm«, sagte er. »Frühstück gefällig?«
»Was meinst du damit?«
»Hier.« Er warf mir die Plastikflasche zu, die ich aus der Hütte mitgenommen hatte. Er mußte am Bach gewesen sein und sie mit Wasser gefüllt haben. »Ich habe etwas Löwenzahn gefunden. Dann hast du was, um dir den Magen zu füllen, wenn du magst …« Er ließ ein paar Pflanzen in meinen Schoß fallen.
Ich nahm einen tiefen Zug Wasser und probierte einen Bissen von den Pflanzen. Er schmeckte wie bitterer Salat.
»Ich habe keine Insekten gefunden«, sagte er. »Es ist zu spät im Jahr.«
Insekten, dachte ich. Hätte er welche gefunden, würde ich die jetzt essen. So wie sich mein Magen momentan anfühlt, täte ich das glatt.
»Heute ist der Tag, Alex. Bist du bereit?«
Ich sah ihn an. Ich konnte nicht verstehen, wieso er plötzlich so viel mehr Energie hatte, als ich aufzubringen vermochte. »Geht es dir gut, Vinnie?«
»Im Moment schon. Heute abend ist das schon etwas anderes.«
»Wovon sprichst du?«
»Am Ende dieses Tages geht es uns richtig dreckig. Hier oben gibt es kaum etwas Eßbares. Wir können uns nicht bemerkbar machen, abgesehen davon, daß hier sowieso keiner herfliegt. Wir können kein Feuer anzünden; dann hätten sie uns in einer Minute. Wir können nicht alleine zurückkommen. Dafür ist es zu weit. Wir haben nur eine einzige Hoffnung.«
»Und die wäre?«
»Ihr Flugzeug.«
»Und was sollen wir damit machen? Klauen und losfliegen?«
»Nur, wenn du das kannst. Ich dachte an ihren Funk.«
»Und wie kommen wir dahin?«
»Denk mal nach, Alex. Wir wissen, daß der Flieger noch hier ist, stimmt’s? Wenn sie weggeflogen wären, hätten wir sie gehört. Wir wissen, daß sie irgendwo südlich von hier sind. Wir müssen das Flugzeug finden.«
»Okay, das ergibt einen Sinn.«
»Weißt du noch was? Wenn wir ihren Flieger finden, finden wir sie auch. Zumindest einen von ihnen. Dieses Flugzeug ist auch ihre einzige Fluchtmöglichkeit.«
»Das Flugzeug ist ihre einzige verwundbare Stelle«, sagte ich. »Die müssen sie schützen.«
»Genau. Da müssen wir sie treffen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.«
»Außer hier rumsitzen und warten, daß sie einen Fehler machen.«
»Was wir nicht können. Jedenfalls nicht mehr lange.«
Ich griff nach dem Baum und zog mich hoch. In meinem ganzen Leben hatte ich mich nie ausgelaugter gefühlt. Vinnie gab mir einen seiner angespitzten Speere. »So oder so. Wir müssen es heute hinter uns bringen.«
Wir gingen durch die Bäume zur Hütte zurück. Als wir an den Waldrand kamen, blieben wir beide unvermittelt stehen.
»Wenn es mehr als einer ist«, sagte ich, »könnte einer davon jetzt die Hütte bewachen.«
»Das könnte er. Bei Tageslicht sind wir ein leichtes Ziel.«
Also gingen wir um den See herum zum westlichen Pfad und hielten uns dabei in den Wäldern. Als wir den Weg erreichten, untersuchte Vinnie den Boden. »Jemand ist hier langgekommen. Aus der Richtung der Hütte.«
»Wir müssen vorsichtig sein. Sie könnten momentan überall sein.«
Er nickte, während er sich umsah. »Sie wissen, daß wir kommen.«
»Wie, zum Flieger?«
»Klar, denk doch mal nach. Die wissen auch, was wir wissen. Den Flieger zu erreichen ist unsere einzige Hoffnung.«
»Dann legen sie uns hier auf dem Pfad einen Hinterhalt«, sagte ich.
»Wir müssen den Pfad umgehen und irgendwie anders zu dem Flugzeug gelangen.«
Das war nicht das, was ich gerne hörte, aber ich wußte, er hatte recht. Wir verließen den Pfad und kletterten auf Felsen zu dem höher gelegenen Terrain, das parallel zum Weg zu laufen
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