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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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trinkt ihn schwarz, straight-up, wie ein Sizilianer, »... und dann die Überraschung. Wir trauten unseren Augen nicht. Gold.«
    »Soso.«
    »Doch! Goldbarren im Sand. Goldbarren in den Rumpfteilen. Überall Gold. Mindestens eine Tonne Gold, die man unter den Melonenkisten versteckt hatte, vermutlich Drogengeld oder Steuerflucht, wer weiß, Gold, das für die Bahamas gedacht gewesen wäre - offshore money, Sie verstehen.«
    Davon verstehe ich mehr als er.
    »Menschen strömten, aufgeschreckt durch den Krach unserer Notlandung, aus ihren Hochhäusern und stürzten sich auf die schweren Goldbarren, das heißt zuerst auf die Melonen, die waren ja augenfälliger, dann, sobald sie's entdeckten, auf das Gold. Natürlich dauerte es nicht lange, bis die Küstenwache da war, dann auch die Polizei. Man weiß bis heute nicht, wer diese Ladung in unseren Frachtraum geschmuggelt hat.«
    »Und Frank?«
    »Frank überlebte. Ist jetzt ebenfalls Fluglehrer. Ebenfalls in Teterboro.«
    Abenteuergeschichten. Ich muß lachen. Nichts unterscheidet die Piloten von den Fischern und Jägern - jeder will das größere Feuer an Bord, den wüsteren Sturm, die abenteuerlichere Strandlandung gemeistert haben. Es ist zum Lachen. Sein Gerede langweilt mich, da überflüssig, da stereotyp. Mit der Zeit hört er dann doch auf, und hinter meiner Schlafbrille entwickelt sich wieder Leben.
    Lissabon. Ende Europas. Einfahrt in den Bahnhof Santa Apolonia. Das Rütteln, als der Zug das endgültige Gleis sucht. Quietschen auf jeder Weiche. Einfahrende Züge auf anderen Gleisen, die mal näher kommen, dann wieder wegrücken. Man muß sich irgendwo festklammern, sonst wird man umgeworfen. Ich stehe am Fenster, beide Fäuste an der Scheibe, darauf klebt meine Stirn. Ich weiß im Moment nicht, was ich denke. Manhattan Finance Corporation, denke ich, oder ich denke an gar nichts. Ich sehe mich im Flieger, Business Class, beschäftigt mit dem Studium von Bilanzen und Organigrammen, von vertraulichen Integrationsplänen, von Aufsichtsratsprotokollen und Marktstudien, ich sehe mich, wie ich den Wein, den die Stewardess einschenkt, gutheiße - vermutlich Merlot -, obwohl er nicht schmeckt; oder wie ich mich mit meinem Sitznachbarn - vermutlich einem gerissenen Wallstreet Banker - über die Zukunft des amerikanischen Zahlungsbilanzdefizits unterhalte, obwohl es mich nicht interessiert. Draußen findet ein Sonnenuntergang statt. Der Glanz der untergehenden Sonne auf den Gleisen. Mohn im Schotter. Minuten später stehen wir wie Flüchtlinge auf dem umtriebigen Bahnsteig - ein Hindernis für all jene mit einem Ziel. Meine arme Entführerin - eine Haarfranse, es ist immer die gleiche, liegt quer über ihrer Stirn. Ich streiche sie zurück. Ihr unschuldiges Mädchengesicht. Es macht mich fertig, dieses Gesicht, sie weiß es. Wenn ich sie so sehe, verliere ich meine Selbstkontrolle. Dabei, glaube ich, schauspielert sie nicht einmal. Sie ist nur einen Moment lang unsicher und macht große, verlorene Augen, die ich mir vornehme nicht der Raffinesse, sondern der Ratlosigkeit zuzuschreiben.
    Wie weiter? Die Erde umrunden auf der Flucht vor uns selbst?
    »Sorry, I can't check you in«, meldet der Angestellte an der Rezeption, »credit card declined.« Ich zücke meine Geschäftskarte, was mir unangenehm ist, doch auch diese will nicht - gesperrt. Ich lege Karte um Karte hin wie ein Poker Dealer in Las Vegas; ich werfe dem armen Portier auf den Tisch, was ich finden kann, einen ganzen Berg voller Karten - Frequent Flyer Cards, Visitenkarten, Firmenausweise -, er soll sich bitte sehr selbst eine aussuchen. »Sorry, Sir«, sagt er mit einem Gesicht voller Schmerz, »please understand, we must have a valid credit card.« Ich mag es nicht, eine Frau zu bitten, mich einzuladen, und sei es für eine einzige Nacht, und selbst wenn es eine Entführerin ist, es knickt den männlichen Stolz. Also lege ich meine Hand auf Josephines Arm, sachte, aber bestimmt, so wie man eine Katze packt, als sie in der Handtasche nach ihrer Kreditkarte wühlt, »bitte«, flüstere ich ihr zu, »wir hinterlassen Spuren«.
    An einem Bancomat im Zentrum holen wir dann aus ihrer American Express, was aus ihr herauszuholen ist - tausend Euro - das Tageslimit. Es geht nicht ohne Geld - wie konnte ich das bloß vergessen.
    »Ins Ritz«, schlägt sie vor und nimmt mich wieder mal am Arm, wir erwischen ein Taxi, checken ein, Presidential Suite, bezahlen bar, sechshundert Euro, schieben dem Rezeptionsangestellten

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