Himmelreich
dieser Erde. Wenn ich zwei erwische, wie sie es nach Arbeitsschluß im Kopierraum treiben, dann werde ich maßlos. Romantik am Arbeitsplatz, das gibt es nicht. Nicht bei mir. Nicht solange ich ihr Vorgesetzter bin. Wenn ein Chef eine Untergebene, dann fliegt der Chef. Wenn zwei auf derselben Stufe oder aus verschiedenen Abteilungen, dann überlasse ich die Wahl, entweder sie oder er; wir beschäftigen keine Paare. Wer es für nötig erachtet, eine Beziehung einzugehen, der soll das bitteschön woanders erledigen. Jedes Jahr, wenn ein Rudel neuer Hochschulabsolventinnen die Bank überschwemmt, lauter intelligente, willige Mädchen aus den besten Business Schools - ein Wirbelsturm der Fruchtbarkeit -, dann sinkt die Produktivität der Bank auf den Nullpunkt. Dieses Knistern! Dieses Delirium!
Keine einzige ohne diese erregende Scheu, dieses Herzklopfen vor dem neuen Lebensabschnitt. Wie sie die Anweisungen ihrer Vorgesetzten aufsaugen mit ihren großen, frischen, jungen Augen, so als wäre es der tiefere Sinn ihrer bisherigen Existenz gewesen, sie exakt auf diesen Augenblick hin reifen zu lassen. Wie sie bereit sind, alles zu tun, um einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Und einen guten zweiten. In der ersten Woche trommle ich sie in der Vorstandsetage zusammen und lege ihnen ans Herz: Kleiden Sie sich konservativ. Dunkle Farben, Hosen. Wenn es unbedingt ein Rock sein muß, dann bis unter die Knie. Strümpfe, aber ohne aufreizende Naht. Bitte. Schuhabsätze keinesfalls höher als Daumenlänge. Im Sommer versorgen wir Sie durch unsere Klimaanlage mit kühler Luft, somit kein Grund, übertrieben sommerlich zu werden. Wie oft hat Liebe einer vielversprechenden Karriere einen Strich durch die Rechnung gemacht, wie oft! Wer verheiratet ist, soll sich bitte daran halten; und wer nicht, ebenfalls. Wie verheerend Liebschaften sein können. Viel Unheil aus Romantik. Meine Damen, im Klartext: Wir sind eine Bank, kein Genpool.
Dafür ein eingeschriebener Brief des FBI in Sachen Hofmann. Vorladung an den New Yorker Hauptsitz des FBI, 6th Avenue, am nächsten Freitag, 15:00 Uhr. Androhung von Buße oder Gefängnis bei Nichterscheinen. Keine weiteren Informationen. Ich werfe ihn in den Papierkorb.
In Sachen Hofmann...
Augenblicke später krame ich den Brief aus dem Papierkorb hervor. Zwei volle Jahre, 6000 Kilometer Distanz und eine Versetzung nach New York hat es gebraucht, um von dieser Frau loszukommen. Jetzt sehe ich Josephine in ihrem Mantel, in ihren Stiefeln, ihr Gang wie auf einem Hochseil, ihr Haar, dunkel, aber nicht pechschwarz, Haar mit einem großen Appetit auf Licht. Obwohl es mir damals wie eine federleichte Affäre vorgekommen ist, dieses neckische Spiel, ihre Idee der fingierten Entführung. Jetzt ist Josephine wieder da - als Verhör.
Mimi ist ganz aufgeregt. Auch sie hat nichts Neues in Erfahrung bringen können, es gelang ihr nicht einmal, den Termin zu verschieben - er kollidiert mit einem von Annas fruchtbaren Tagen (wir versuchen es weiterhin). Jedenfalls, mit dem FBI sei nicht zu spaßen, meint sie und empfiehlt mir eindringlich, einen Anwalt einzuschalten, the sooner the better. Ich sage: »Mimi, es braucht nicht für alles und jedes einen Rechtsanwalt«, und zitiere die Statistik, wonach die USA 6% der Weltbevölkerung ausmachen, aber 50% der Anwälte weltweit auf sich vereinigen. Ich verstehe sie nicht, die Amerikaner mit ihrer Leidenschaft für diese Leute. Es hat für mich etwas Unselbständiges, Verängstigtes, etwas Kindliches, stets dieser Griff nach dem Anwalt.
Was ich von einem Sergeant Bellizzi in Erfahrung bringen kann: Eine gewisse Josephine Hofmann sei am 31. März, also vor genau zwei Jahren, am Flughafen Zürich entführt und seither nicht mehr gesehen worden. Ich würde, laut Rechtshilfegesuch der Schweiz, verdächtigt, ihr Entführer zu sein. Untersuchungshaft nicht ausgeschlossen. Natürlich, so läßt man mich wissen, sei dies ein Fall für die Schweizer Behörden, bestenfalls etwas Europäisches, falls es denn over there schon so etwas wie eine europaweite Polizei gäbe - was er sich allerdings beim besten Willen nicht vorstellen könne, mit all den verschiedenen Sprachen, over there. Auf jeden Fall seien sie gemäß der Haager Konvention verpflichtet zu agieren, obwohl das FBI, ganz offen gesagt, weit wichtigere Fälle aufzuklären habe als eine entführte Buchhändlerin - Handel mit Nuklearwaffen, Bombendrohungen, Massenschießereien -, es sei denn, der Fall stehe im
Weitere Kostenlose Bücher