Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
Vom Netzwerk:
heart.«
    »Das war nicht die Frage«, unterbricht mein Attache.
    »Haben Sie Frau Hofmann entführt?«
    »No.«
    Der Raum wird verdunkelt, und ich sehe ein Video, anscheinend Zürich Flughafen, Abflugbereich, so flüstert mir der Attache ins Ohr, Verkehr, alles in Schwarzweiß und schlechter Bildqualität, tonlos und damit unwirklich. Die Lichter der Autos als verzogene Punkte auf dem Bildschirm, deren Spiegeln auf dem Asphalt, vermutlich hervorgerufen durch Regen, ein Mann mit einem Gepäcktrolley vor dem Check-in-Gebäude, wartend, manchmal bewegt er seinen Kopf wie ein Vogel, der Wasser schluckt. Im Hintergrund plötzlich ein Lieferwagen, vermutlich VW-Bus, zwei Männer steigen aus, wie Schatten, wie Geister, sie nähern sich dem wartenden Mann und schleifen ihn zum VW-Bus, Bildstörung, alles sehr schwer zu erkennen, dann kommt einer zurück und wirft den Trolley in den Bus. Der Lieferwagen fährt aus dem Bild.
    Licht im Raum.
    »So, what is this?« fragt der FBI-Sergeant meinen Attache. »You sent us this stuff.«
    Der Attache, jetzt nervös: »I believe there is a better sequence, Sir.«
    Wieder wird der Raum verdunkelt. Die Projektion, diesmal farbig und mit Ton, zeigt einen Mann mit umgehängten, rostigen Ketten vor einem Kaminfeuer. Er spricht gelassen.
    »This guy looks just like you.«
    Ich finde, nicht unbedingt, und zucke die Schultern.
    »What does he say in the video?« fragt der Sergeant meinen Attache.
    Häberli übersetzt sinngemäß.
    »This doesn't make any sense.«
    »Why not?«
    Der Sergeant blättert in den Unterlagen. »I thought he is the kidnapper.« Ich hasse es, wenn Leute mit dem Zeigefinger auf andere Leute zeigen, und jetzt zeigt der Sergeant wie ein Scharfschütze auf mein Gesicht.
    »There must be another sequence, Sir.« Wieder wird der Raum verdunkelt. Es folgt eine Aufnahme in einem Hotelzimmer; unter einem Strumpf erkenne ich mit etwas Phantasie Josephines Kopf.
    Natürlich gleicht der Mann auf dem Video mir. Er hat ungefähr mein Alter, meinen Haarschnitt, meinen Gesichtsausdruck. Wie er redet, unterscheidet sich kaum von meinem Gehabe, er ist vergnügter, als ich es normalerweise bin, das schon, aber vielleicht hat das einfach mit der schlechten Bildqualität zu tun. Auch trägt er, dem Bild nach zu schließen, einen Nadelstreifenanzug, der mir seltsam bekannt vorkommt. Nur würde es mir nicht einmal im Traum einfallen, eine solche Szene zu drehen.
    »What the hell is this guy in the video saying now?«
    Der Attache übersetzt. Lauter abstruses Zeug - Lösegeldforderung, aber ein freiwilliger Betrag, eine Art Spende.
    »This is fucking nonsense!«
    »There must have been a translation error.«
    »Obviously«, meint der Sergeant. »Seems to me that class="sgc-1"this guy has been kidnapped.«
    Wieder sein Finger vor meinen Augen.
    Mein junger Attache nickt schüchtern, das Kinn so eingezogen, daß sein Hals faltig und dick wird.
    »Maybe they both kidnapped each other«, sage ich.
    »But why?«
    »Love«, antworte ich.
    Der Sergeant schüttelt den Kopf. Nein, für solchen Nonsens habe er nun wirklich keine Zeit. Da draußen seien Schwerverbrecher und Terroristen zu fangen, »these Europeans with their petty problems. Here« - er nimmt die Spulen und das Papier und drückt es dem Attache in die Arme - »take it back to fucking Europe.« Der Winter kam und verging, und dann kam der April, und mit ihm der Regen, ab und zu ein Sturm, und weil es hinter New York keine Alpen gibt, staut sich das Wetter nicht, sondern zieht schnell über die Stadt hinweg auf den Atlantik hinaus. Immer wieder riß die Wolkendecke auf und brachte strahlend blaue Tage. Ich genoß es, am Fenster zu stehen und dem Spiel der Wolken zu folgen, das sich über den Dächern der Stadt in ein Spektakel des Lichts verwandelte, selbst wenn es regnete, ja schüttete, ich stand nah am Fenster, wenn ich telefonierte, diktierte oder nachdenken mußte. Ich war jetzt etwas mehr als zwei Jahre in New York, und seit einem Jahr war Anna hier.
    Eines Tages, es war gerade so ein windiger Nachmittag mit aufgerissenen Wolkenschwaden, böig, durchsetzt mit sturzbachartigen Regengüssen, ich beobachtete den Verkehr weit unten, wie er sich in diesem Regen staute, ein Anruf, es sei dringend. Mimi stellte durch. Eine Dame vom Lower Manhattan Community Hospital meldet: Anna auf der Intensivstation. Sie hätten meine Visitenkarte in ihrer Tasche gefunden. Mehr wollen sie mir nicht verraten, ich müsse mich zuerst als ihr Ehemann

Weitere Kostenlose Bücher