Himmelreich
zurückzunehmen, was ich soeben gesagt hatte.
So meinte ich es natürlich nicht. Aber die medizinischen Untersuchungen waren eindeutig. Außerdem hatte sie sich vor zehn Jahren nun mal für die Karriere entschieden, das war ja, nüchtern betrachtet, keine Katastrophe, im Gegenteil, die Vorteile von Karriere liegen auf der Hand: intellektuelle Stimulanz, Reisen in alle Winkel dieses Planeten, Gefühl von Leistung, Selbstbewußtsein. Ich kannte die Argumentation ja selbst. Kinder aus Brauchtum, mein Gott! Ich schleifte sie an den Haaren zum Abtreibungsarzt, das heißt, sie willigte ein, weil Kinder damals - sie wurde gerade zur Partnerin befördert - wirklich nicht paßten. Das sah sie auch ein. Es gibt, wenn man keine will, gegen nichts bessere Gründe als gegen Kinder. Als ich dann einige Jahre später wollte, wollte sie nicht mehr. Ganz und gar ausgeschlossen. Und als sie an ihrem 38. Geburtstag (ich war damals gerade 40) plötzlich auf die Idee kam, doch Kinder zu wollen, und zwar umgehend, fand ich, wir seien doch nun beide aus diesem Alter heraus. Und jetzt, seit sie in New York ist, diese maßlose Erwartung. Heute meine ich: Wenn schon Kinder, dann nicht eigene in die Welt stellen, sondern bereits geborene zu vollen Menschen entwickeln. Solange die Afrikaner und Araber drauflosgebären, sind genug Kinder auf der Welt. Unsere Kultur ist nicht zu retten durch ein Wettrüsten der Geburten, sondern durch Ausbildung, durch das Vermitteln kritischen, aufgeklärten, westlichen Geistes. Rettung durch Vernunft. Was soll dieser Drang nach einem eigenen Kind? Konkret gefragt: Welches ist der Vorteil eines eigenen Kindes gegenüber jedem beliebig anderen? Was ist der Vorteil eines Kindes überhaupt? Ich verstehe es nicht. Kinder besitzen, wie man einen Sportwagen besitzt; es ist lächerlich; es ist narzißtisch. Außerdem brauche ich kein Kind, um mich als Mann bestätigt zu fühlen.
Rückblickend scheint mir, daß wir eigentlich immerzu dasselbe wollten, daß aber, aus unerklärlichen Gründen, unsere Leben stets ein bißchen aus dem Gleichschritt waren.
Wie ein zweistimmiges Lied, das auf verschiedenen Notenlinien notiert ist und bis zum Schluß nicht richtig aufgeht. Wenn der eine wollte, wollte der andere nicht, und umgekehrt, und wenn der eine das Schrittmaß des anderen übernahm, mußte der erste gerade seinen Schritt wechseln, und es ging wieder nicht auf, nicht aus Trotz, sondern aus der Situation heraus. Unsere Ehe war, in einem Wort, ein grandioses Sich-nicht-Finden, das wie ein Fluch über diesen Jahren lastete. Deshalb kam es auch nie zu einer Explosion, nur zu einem allmählichen Sich-Verlieren. Manchmal auf der Straße zu beobachten: ein Paar, ein verliebtes, händehaltend, aber aus dem Schritt, so daß es an den Armen zieht und stößt, und trotz aller Liebe scheinen sie nie den Gleichschritt zu finden, der es ihnen ermöglichte, harmonisch vorwärts zu kommen. Bis es ihnen allmählich auf die Nerven geht. Es dauert dann nicht lange, und sie lassen sich los, nicht aus Verärgerung, sondern weil es praktischer ist.
»Und meine Karriere habe ich auch sausenlassen. Alles wegen einem Mann, der mich betrogen hat.«
Ich warf Sand in den Wind. Wir schwiegen. »Ich habe tatsächlich geglaubt, wir würden wieder zusammenfinden. Hier in New York.«
»Komm«, sagte ich, »zieh dir den Pullover über.«
Der Wind hatte zugelegt.
Ich vergrub meine Füße unter einem Frotteetuch. »Philip, wir sind beide über 40, und es wäre Zeit, sich Gedanken über das Leben zu machen, über die Ehe, das Alter, den Sinn des Ganzen. Deshalb bin ich nach Amerika gekommen - ja, und um mit dir ein Kind zu haben. Aber du sitzt nur da und schweigst oder arbeitest, dabei könntest du genausogut allein dasitzen, oder woanders, es würde dir überhaupt nichts ausmachen. Du denkst allein, du arbeitest allein, du bist sowieso ganz unbeteiligt. Du hast dich schon so weit von mir entfernt, daß du mir ein fremder Mann geworden bist.«
Sie hatte das Buch jetzt zugeklappt und hielt es in ihren Händen wie einen Holzprügel.
Sie fror.
Ich wagte es nicht, sie zu berühren. Ich ließ Sand aus meiner Faust rieseln und beobachtete, wie er sich im Wind nach Korngröße trennte. Spektralanalyse von Licht, kam mir in den Sinn.
»Außerdem quält sie mich noch immer, die Geschichte mit dieser Hofmann. Wenn es wenigstens Sex gewesen wäre, einfacher Sex, das wäre das eine, aber es scheint, daß du sie geliebt hast, emotional, das war eine
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