Himmelsdiebe
in deinen grünen Augen ertrinke n …«
Während er die Worte flüsterte, ekelte er sich vor sich selbst. Wie entsetzlich falsch und verlogen das alles doch wa r … Ein einsames Paar am nächtlichen Strand, das silberne Licht des Mondes, das ewige Rauschen der Brandun g – vielleicht fiel irgendwo sogar eine Sternschnuppe vom Himme l … Ob auch Debbie die Abgeschmacktheit dieses Augenblicks spürte?
»Komm zu mir, mein Seemann«, sagte sie, ebenso leise wie er, »hinaus aufs offene Mee r …«
Sie nahm sein Gesicht zwischen die Hände und küsste ihn. Obwohl er keinerlei Erregung verspürte, tat die Berührung ihrer Lippen ihm gut. Hätte er diese Nacht ohne die Nähe eines weiblichen Körpers überlebt? Nie war ein Mensch einsamer gewesen als e r – nicht einmal Adam, bevor Gott Eva erschu f … Während Harry das Salz seiner Tränen auf Debbies Haut schmeckte, sah er, dass sie im Kuss ihr Bein anwinkelte. In einem wissenschaftlichen Aufsatz hatte er mal gelesen, was diese Geste bei Frauen bedeutete. Zum Glück hatte er es vergessen.
»Ich glaube fast, ich liebe dic h …«
»Ich glaube, ich dich auc h …«
Mit ernstem Lächeln kniete sie sich vor ihn in den Sand, und ohne ihn aus den Augen zu lassen, streifte sie ihm die Hose von der Hüfte und zog ihn zu sich herab.
Irgendwo in der Nacht tutete ein Dampfer.
Siebtes Buch
Kafkamerika
New York / Colorado
1941 – 1942
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Gott segne Amerika!
Ungeduldig von einem Bein aufs andere tretend, stand Bobby auf der Aussichtsplattform des Marineflughafen La Guardia und wartete auf die Ankunft seines Vaters. Die Fliege, die wie das weiße, kurzärmelige Hemd und die dunkelblaue Gabardinehose zu seiner Arbeitskleidung gehörte, schnürte ihm fast den Hals zu. Doch vor lauter Aufregung kam er nicht auf die Idee, sich den Kragen zu öffnen, wie er es sonst immer tat, wenn er nach der Arbeit das Museum verließ. Erst vor wenigen Stunden hatte er das lang ersehnte Telegramm bekommen, abgesendet von William Dry in Lissabon:
Ankunft Harry WINTER und Begleitung– Stop– 14. Juli New York– STOP
Kaum war das Telegramm eingetroffen, war Bobby damit zu Mr. Burns gelaufen, dem Leiter der Filmbibliothek des Museum of Modern Art , wo er in der Poststelle arbeitete, um den Rest des Tages freizunehmen. Obwohl sein Chef ihm erst vor einer Woche mit der Kündigung gedroht hatte für den Fall, dass er auch nur noch ein einziges Mal zu spät kommen würde oder die Arbeit eine Minute vor Dienstschluss beende, hatte er ihn schließlich laufen lassen. Ohne sich umzuziehen, hatte Bobby sich in das erstbeste Taxi geworfen, um für umgerechnet einen halben Monatslohn zum Flughafen zu fahren.
Was bedeutete »und Begleitung«? Um seine Nervosität zu bekämpfen, steckte er sich ein Kaugummi in den Mund. Seit drei Jahren war er nun in New York, und seit drei Jahren kämpfte er darum, seine Eltern aus Europa herauszuholen. Während fast täglich neue Schreckensnachrichten über den Atlantik drangen von Hitler, Stalin und Konsorten, war er von Pontius zu Pilatus gelaufen, um die nötigen Papiere zu besorgen, bevor auch Amerika in den verfluchten Krieg eintrat. Doch sogar nachdem die Deutschen Frankreich überfallen hatten, hatten seine Eltern sich geweigert, Vernunft anzunehmen. Statt Mathilde noch einmal zu heiraten, hatte sein weltfremder Vater ihm Fotos geschickt, die ihn dabei zeigten, wie er die Mauern eines halb verfallenen Hauses irgendwo in Frankreich mit Zementreliefs und Wandfiguren schmückte, als gäbe es nichts anderes auf Gottes weiter Erde als seine Kunst.
Unentwegt kauend, schaute Bobby auf die Anzeigetafel. Die Maschine musste jeden Moment landen. Für eine Sekunde stellte er sich vor, dass seine Mutter die Gangway herunterkommen würde, um ihn in die Arme zu schließen. Eine winzig kleine Hoffnung flammte in ihm auf. Vielleicht hatten sie es ja doch noch geschafft! Solche Wunder gab e s – sie machten in den Emigrantenlokalen immer wieder die Runde. Um sich vor der Enttäuschung zu schützen, die ihn so unweigerlich ereilen würde wie der nächste Verweis seines ewig missgelaunten Chefs Mr. Burns, verdrängte Bobby das Bild, kaum dass es vor seinem inneren Auge aufgetaucht war. Das American Rescue Committee kümmerte sich nur um berühmte Leute, und seine Mutter war nicht berühmt. Also war ihr Leben nichts wer t – zumindest nicht ohne Wiederverheiratung mit ihrem ehemaligen Mann, dem berühmten Maler Harry Winter.
»Da!«, rief jemand. »Sie kommen!«
Bobby
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