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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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plötzlich sein Gesicht aufgetaucht wäre. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus hatte sie Roberto gebeten, sie in ihrer Wohnung einzuschließen, wann immer er sie für ein paar Stunden allein lassen musste. Damit sie nicht in Versuchung kam, zu Harry zurückzukehren.
    Vibrierend an ihrem ganzen mächtigen Leib, drehte die Fortune sich um die eigene Achse, um auf Kurs zu gehen. Laura stützte sich auf die Reling und warf einen letzten Blick auf den Hafen, die Stadt, den Kontinent, den sie nun vielleicht für immer verließ. In den fünf Seekoffern, die sie gepackt hatte, waren alle ihre Bilder verstau t – auch die Bilder von Harry, die er selbst nicht mit auf die Reise nehmen konnte. Er würde im Flugzeug nach Amerika fliegen, mit Debbie Jacobs und kleinem Handgepäck, sobald seine Ausweispapiere in Ordnung waren. Laura hatte ihm seinen Pass zurückgegeben. Hätte sie ihn behalten sollen?
    Dada und die Windsbrau t … In den Wasserstrudeln, die an der Bordwand aufschäumten, sah sie die zwei noch einmal auferstehen. Es war ein Bild des Grauens. In einer Hexenküche, inmitten von Fliegenschwärmen, rührte der Vogelobere in einem riesigen Menschentopf, und während ein Pferd mit angstvoll geblähten Nüstern zu fliehen versuchte, fesselte Dada es an die Flammen des Kesselfeuers. Laura krallte sich an die Reling, um nicht ins Wasser zu springen. Nie wieder in ihrem Leben, das wusste sie, würde sie ein Bild mit einem Pferd malen können.
    Die Bordkapelle verstummte. Endlich konnte Laura wieder atme n – es war, als hätte der Lärm ihr alle Sinne und Poren und sogar die Lungenbläschen verstopft. Während die bunten Luftschlangen, die das Schiff wie flüchtige Erinnerungen mit dem Ufer verbanden, allmählich im Wasser versanken, um eine Schleppe aus Tausend und Abertausend Fäden zu bilden, zog Laura die Wanderschuhe aus, mit denen sie an Bord gegangen war, und warf sie über die Reling.
    Die Stiefel trieben noch zwischen den Luftschlangen im Wasser, als Roberto an Deck zurückkehrte.
    »Du darfst dich nicht erkälten«, sagte er und legte ihr das Cape um die Schultern. »Du bist noch geschwächt.«
    Laura schlüpfte in die Pumps, die er mitgebracht hatte, und dankte ihm mit einem Kuss. Behutsam, als hätte er Angst, sie zu berühren, streifte er mit seinen Lippen ihre Wangen. Dann trat er neben sie an die Reling und schaute mit ihr über das Wasser.
    »Warum bist du nicht bei Harry geblieben?«, fragte er nach einer langen, wortlosen Weile.
    Während er den Blick aufs Meer gerichtet hielt, sah Laura ihn an. Wusste sie selber die Antwort? In der Stille des Ozeans waren nur noch die Schiffsgeräusche zu hören. Während die Passagiere in ihren Kabinen verschwanden, um sich für das erste Captain’s Dinner umzuziehen, dampfte die Fortune mit gleichmäßig stampfenden Kolben in Richtung Westen, wo die Abendsonne als rotgoldener Feuerball im Meer versank.
    »Harry wäre nicht stark genug, um mit mir bis ans Ende zu gehen«, sagte sie. »Du bist stark, Roberto. Darum habe ich mich für dich entschieden.«
    »Du sprichst in Rätseln, Laura«, erwiderte er. »Was willst du damit sagen?«
    Er drehte sich zu ihr um und sah ihr in die Augen. Aus seinem Gesicht sprach sorgende Ratlosigkeit.
    Laura klammerte sich verzweifelt an seinen Blick. War er wirklich so stark, wie sie hoffte? Stark genug, um nicht davonzulaufen, wenn er die Wahrheit erfuhr?
    »Ach nichts«, sagte sie und strich ihm über die Wange. »Du weißt doch, ohne dich wäre mein Visum verfallen.«
    13
    Es war eine mondhelle Nacht, als Harry und Debbie das Spielcasino von Estoril verließen. Debbie hatte Harry fünfzig Dollar in die Hand gedrückt, damit er nicht wie ein Bettler zusehen musste, während die anderen ihr Glück versuchten. Ihre Dollars hatten sich vermehrt, wie es sich für echte Jacobs-Dollars gehörte. Immer wieder, wenn die Kugel in der Rouletteschüssel ausgerollt und in das Zahlenfach gefallen war, hatte Debbie triumphierend in die Hände geklatscht, sodass andere Gäste voller Missgunst zu ihr herübergeschaut hatten. Für die meisten von ihnen war das Spiel bitterer Ernst. Als Emigranten, die vor den Nazis durch halb Europa geflohen waren, riskierten sie an den Tischen ihr letztes Hemd, in der verzweifelten Hoffnung, so das nötige Geld für ein Visum oder eine Schiffspassage zu gewinnen, um an irgendeinen Ort der Welt zu gelangen, wo sie ihres Lebens sicher waren. Während die armseligen Häufchen ihrer Jetons immer mehr vor ihnen auf

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