Himmelsdiebe
Obhut seines Sohnes Robert Winter zu entlassen, der vor diesem Ausschuss als Bürge aufgetreten ist. Der Antrag ist einstimmig angenommen.«
Während Harry sich noch fragte, was diese Empfehlung konkret bedeutete, führte der Gerichtsdiener ihn aus dem Saal. Doch nicht durch die Tür, durch die er vor fünf Minuten gekommen war, sondern durch den gegenüberliegenden Ausgang, durch den auch Bobby den Raum verließ.
Er war noch nicht auf dem Flur, da sprang ihm Debbie entgegen.
»Wann findet die Anhörung endlich statt?«, wollte sie wissen.
Harry zuckte die Schultern.
»Sie hat bereits stattgefunden«, erwiderte der Beamte an seiner Stelle. »Dem Antragsteller wurde der Zutritt zu den Vereinigten Staaten gewährt.«
Mit einem Freudenschrei fiel Debbie Harry um den Hals.
»Kann mir mal jemand erklären, was jetzt eigentlich ist?«, fragte er.
»Begreifst du denn nicht?«, rief Debbie. »Du bist frei, Harry! Ein freier Mann in einem freien Land!«
»Ist das wirklich wahr?«
Während sie sein Gesicht mit Küssen bedeckte, begriff er allmählich, was passiert war. »Was habe ich doch für einen wunderbaren Sohn«, sagte er voller Stolz.
Er machte sich aus der Umarmung frei, um sich bei Bobby zu bedanken. Doch als er sich umdrehte, senkte sein Sohn den Kopf. Mit rotem Gesicht blickte er auf seine blank polierten Schuhspitzen.
Harry konnte sich denken, warum. Er kehrte Debbie den Rücken zu und nahm Bobby beiseite. »Bist du mir böse«, fragte er, »weil ich mit Miss Jacobs gekommen bin? Statt mit deiner Mutter?«
Bobby hob den Kopf und erwiderte seinen Blick. Harry musste schlucken.
»Was soll ich machen?«, seufzte sein Sohn. »Schließlich kann sich niemand seinen Vater selber aussuchen.«
»Ach Bobby«, sagte Harry und schloss ihn in die Arme. »Ich habe gar nicht gewusst, wie sehr ich dich liebe.«
3
Die Willkommensparty fand im Lindy’s statt, dem teuersten Restaurant der Park Avenue. Debbie thronte mit Harry in der Mitte einer endlos langen Tafel, die die ganze Fensterfront des Lokals einnahm. Sie hatte alle seine Künstlerfreunde eingeladen, die bereits den Sprung über den großen Teich geschafft hatten, und alle waren gekomme n – sogar René Pompon, der seit zwei Wochen in New York war, hatte sich überwunden, Harry beim Hofhalten zu bewundern. Debbie war glücklich. Rauschendere Feste konnte es nicht mal im Pariser Café Flore gegeben haben. Nur eine Frage quälte sie. Ob die anderen wohl wussten, dass sie Harry erobert hatte? Ihrem vorsichtigen Versuch, bei Tisch seine Hand zu halten, war er ausgewichen, indem er in seiner Aktentasche kramte, die er aus unerfindlichen Gründen mit zu der Party gebracht hatte.
»Ist ja ganz nett hier«, sagte Pompon auf Französisch. »Aber nichts im Vergleich zum Flore .«
»Warum sprechen Sie eigentlich nicht englisch?«, fragte Debbie. »Als Sie eben den Wein bestellten, ging es Ihnen doch ganz flott von der Zunge?«
»Englisch ist mir zu praktisc h – eine Sprache für Ingenieure«, erwiderte Pompon. »In diesem Idiom mag man Automobile oder Kühlschränke erfinden. Doch zur Erörterung wesentlicher Fragen ist es völlig ungeeignet.«
»Da muss ich dir ausnahmsweise recht geben«, pflichtete Harry ihm bei. »Französisch ist die einzige Sprache, die für einen zivilisierten Menschen infrage kommt.«
»Überhaup t – dieses Amerika. Meiner Meinung nach wird das Land maßlos überschätzt. Überall diese entsetzliche Geschäftigkeit. Manchmal komme ich mir hier vor wie in einem Albtraum von Kafka.«
»Du sagst e s – Kafkamerika ! Wenn ich nur daran denke, wie sie mich empfangen haben. Einfach menschenverachtend!« Harry nahm sein Glas und prostete Pompon zu. »Santé, mon cher!«
Debbie gelang es nur mit Mühe, ihre gute Laune zu wahren. Wenn man die beiden reden hörte, konnte man glauben, dass nicht amerikanische Dollars, sondern die Subtilitäten der französischen Grammatik ihnen das Leben gerettet hätten. Dabei schielte Pompon während des Gesprächs immer wieder zum Nebentisch, wo ein paar typisch amerikanische Geschäftsleute eine typisch amerikanische Käsetorte in typisch amerikanischer Geschäftigkeit verschlangen.
»Wir haben eine Mission in diesem Land«, erklärte Pompon. »Wir müssen so schnell wie möglich eine Ausstellung organisieren. Damit die Amis endlich kapieren, was wahre Kunst ist.«
»Sehr richtig«, sagte Harry. »Wir sind Kulturbotschafter. Allerdings schlage ich vor, dass wir uns nicht nur auf die Malerei
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