Himmelsdiebe
Gesetz des Deutschen Reiches«, hatte der Officer der Einwanderungsbehörde gesagt, als er ihn abführen ließ.
Der erste Abend war noch ein Vergnügen gewesen. Nach seiner Vernehmung am Flughafen hatte der Officer zwar angeordnet, ihn in Abschiebehaft nach Ellis Island zu bringen, doch da die letzte Fähre schon abgefahren war, hatte er die Nacht als Gast der Pan American Airways im Belmont Plaza verbracht, einem stinkvornehmen Hotel, wo er unter Bewachung eines Detektivs sogar mit Debbie zu Abend hatte essen dürfen. Es hatte tellergroße Beefsteaks gegebe n – mehr Fleisch, als er während seiner ganzen Lagerhaft in Frankreich zu sehen bekommen hatte. Am nächsten Morgen aber war der Spaß vorbei gewesen; im Morgengrauen, mit der allerersten Fähre, hatte man ihn nach Ellis Island überführt. Seitdem schmorte er in seiner Zelle und wartete im Anblick der Freiheitsstatue darauf, dass Debbies Beziehungen fruchteten. Bei ihrem letzten Besuch war sie mit einem halben Dutzend Anwälten aufgekreuzt. Einer der Anwälte hatte ihm für heute eine Anhörung in Aussicht gestellt.
Immer wieder ging Harry eine Frage durch den Sinn, die ihn an sich selbst verzweifeln ließ. Gab es kein einziges Land auf der Erde, wo er willkommen war? Der Gedanke, dass man ihn nach Europa zurückschicken würde, war so fürchterlich, dass er sich weigerte, auch nur daran zu denken.
Ein Schlüssel rasselte, und die Zellentür öffnete sich. Ein Gerichtsdiener forderte Harry auf, sich von seiner Pritsche zu erheben.
»Bitte folgen Sie mir.«
Harry legte die Zeitung beiseite, warf einen Blick in den Spiegel, der über dem Waschbecken hing, und strich sich übers Haar. Hatte Debbie es geschafft, dass er seine Sache endlich vortragen durfte?
»Hier entlang.«
Der Gerichtsdiener führte ihn in einen Raum, der aussah wie ein Wartesaal zweiter Klasse. Doch nicht Debbie wartete dort auf ihn, sondern sein Sohn Bobby. Und drei in schwarze Roben gehüllte Richter, die wie Krähen auf einem mit der amerikanischen Fahne geschmückten Podium hinter ihrem Tresen hockten.
»Kennen Sie diesen Mann?«, wandte sich einer der Richter an Bobby und zeigte auf Harry.
»Ja, Sir, natürlich. Sein Name ist Harry Winter, und er ist mein Vater.«
Harry musste vor einer Schranke Aufstellung nehmen. War dies der Stand für die Zeugen oder die Angeklagten? Während die Richter ihn mit kritischen Blicken musterten, kam er sich vor wie ein Affe im Zoo. In der Erwartung, dass man ihn aufforderte zu reden, räusperte er sich. Doch als könne er nicht für sich selber sprechen, wandten die Richter sich wieder seinem Sohn zu, um die Befragung fortzusetzen.
»Sind Sie bereit, den Antragsteller finanziell zu unterstützen?«
»Selbstverständlich, Sir. Ich arbeite im Museum of Modern Art und verdiene fünfzig Dollar im Monat.«
»Und würden Sie dem Antragsteller Unterkunft an Ihrem Wohnsitz gewähren?«
Bobby zögerte einen Moment. » Well , Sir«, sagte er, »Wohnsitz ist vielleicht übertrieben. Ich bewohne ein möbliertes Zimmer, und ich besitze auch nur ein Bett. Aber ich denke, wenn ich meine Wirtin frage, ob ich eine zusätzliche Liege in den Raum stellen darf, wird sie nichts dagegen haben.«
»Was nun? Können Sie den Antragsteller an Ihrem Wohnsitz aufnehmen? Ja oder nein?«
»Ja, Sir«, erwiderte Bobby mit fester Stimme. »Wenn mein Vater möchte, kann er selbstverständlich bei mir wohnen.«
Harry kratzte sich am Kopf. Der Richter tat ja gerade so, als hinge sein Wohl und Wehe von seinem Sohn ab. Was sollte der Unfug? Nicht Bobby, Debbie Jacobs war seine Bürgi n – eine der reichsten Frauen des Landes! Irritiert schaute er auf seinen Sohn, der den Richtern weiter Rede und Antwort stand. Harry erkannte ihn kaum wieder. Erwachsen war der Junge geworden. Mit der Fliege um den Hals, dem weißen, kurzärmeligen Hemd und der dunkelblauen Hose sah er aus wie ein richtiger Mann. Mehr als Harry selbst.
»Noch einmal, Mr. Winter«, sagte der Vorsitzende. »Sind Sie bereit, die volle Verantwortung für Ihren Vater zu übernehmen? Sodass er den Vereinigten Staaten von Amerika niemals zur Last fallen wird?«
»Ja, Sir«, erklärte Bobby, »das bin ich.«
»So wahr Gott Ihnen helfe?«
»So wahr mir Gott helfe.«
Die Richter steckten die Köpfe zusammen, um sich zu beraten. Nach einer Weile, während der nur ihre flüsternden Stimmen zu hören waren, verkündete der Vorsitzende den Beschluss.
»Hiermit sprechen wir die Empfehlung aus, den Antragsteller in die
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