Himmelsdiebe
Pumps. Wie ein Alkoholiker auf Entzug, der eine Schnapsflasche entdeckt hat, stierte er auf ihren sich rhythmisch windenden Körper. Das war die Medizin, die er jetzt brauchte! Doch sosehr er sich bemühte, die Wirkung der Arznei zu spüre n – sie erreichte ihn nur in homöopathischen Dosen. Obwohl der Tisch so nah am Bühnenrand stand, dass er Ginger beim Ausziehen hätte helfen können, ohne sich vom Stuhl zu erheben, nahm er ihre Entkleidungskunst wie durch einen Nebel wahr. Wo war das verfluchte Lorgnon? Endlich fand er es in der Brusttasche. Doch als er es vor die Augen hob, machte das die Sache nur noch schlimmer. Ginger verschwamm in den geschliffenen Gläsern wie ein Fisch in Brackwasser. Entsprechend müde fiel Dadas Reaktion aus.
»Ihr Whiskey, Mister.«
Harry steckte das Lorgnon wieder ein. Während der Kellner das Glas abstellte, setzte die Musik aus. Nur das Rühren eines Jazzbesens war noch zu hören. Begleitet von einzelnen Paukenschlägen, entledigte Ginger sich ihrer allerletzten Kleidungsstücke. Jetzt trug sie nur noch ihre Pumps. Mit einem Gesicht, als nähere sie sich der Ekstase, nahm sie die Banane entgegen, die ein Mann aus dem Publikum ihr reichte. Quälend langsam ließ sie die Hüften kreisen und spreizte die Schenkel. Während sie die Banane auf ihren Körper richtete, setzte die Musik wieder ein. Angetrieben von den Snare-Drums, schwoll sie zum Crescendo, ein plötzlicher Tusc h – dann erlosch das Licht, und Ginger war verschwunden.
»Ooooooohhhh h …«
Das Stöhnen, in dem sich die Enttäuschung der Zuschauer entlud, war noch nicht verstummt, da flammte ein Lichtkegel auf, und ein Conferencier in einem Glitzersmoking sprang auf die Bühne. In der Hand hielt er ein Mikrofon, mit so weit abgespreizten Fingern, dass Harry sich wunderte, warum es nicht zu Boden fiel.
»Nur eine kurze Pause, dann kommen wir zum Höhepunkt!«
Ein paar Pfiffe wurden laut.
»Geduld, Geduld!«, rief der Conferencier und hob die Arme. »Damit ihr euch bis zur Rückkehr unserer Künstlerin nicht langweilt, erzähle ich euch eine Geschichte von meinem Vetter Johnny, dem berühmten Frauenarzt. Wollt ihr seine Geschichte hören?«
»Jaaaa!«
»Also gut. Aber haltet euch fest, Jungs, und die Damen hören besser fünf Minuten weg.« Der Conferencier strich sich über seine Schmalztolle und grinste, bis alle Blicke auf ihn gerichtet waren. »Kommt doch eines Tages eine Frau mit ihrem Staubsauger in die Praxis von Vetter Johnny und sag t …«
Während er von Vetter Johnnys Patientin berichtete, die in so heftiger Liebe zu ihrem Roover-Staubsauger entbrannt war, dass die beiden nur mit Mitteln der Notfallchirurgie voneinander hatten getrennt werden können, schaute Harry sich um. An den meisten Tischen saßen Paare. Komisc h – er hatte nie verstanden, was Frauen sich vom Besuch eines Striplokals erhofften.
»Ja, meine Damen, wie heißt es so richtig in der Reklame?«, fragte der Conferencier, um sich nach einer Kunstpause selber die Antwort zu geben: »Die gute Wahl– Roover!«
Das Publikum brüllte vor Lachen, vor allem die Frauen, als Ginger plötzlich aus der Dunkelheit an Harrys Tisch auftauchte. Ihre Blöße hatte sie mit einem Kimono bedeckt. Harry erhob sich von seinem Stuhl, um sie zu begrüßen. Während sie auf ihn zu stöckelte, spürte er, wie betrunken er war. Sosehr er sich auch das Gehirn zermartete, er konnte sich nicht mehr erinnern, ob er schon mal mit ihr geschlafen hatte oder nicht.
»Ich habe nur für dich getanzt«, schnurrte sie, als sie sich zu ihm setzte.
»Und ich habe nur für dich geguckt.«
»Wie du immer redest! So süß! Ich glaube, so könnt nur ihr Franzosen reden.« Sie trank einen Schluck von seinem Glas. »Ich hab mich schrecklich gefreut, als du plötzlich reinkamst. Hast du mich sehr vermisst?«
»Ich dachte, vielleicht könnten wir heute nachholen, was wir damal s …«
»Willst du mich malen?« Sie strahlte über ihr ganzes hübsches Gesicht. Plötzlich kam ihr ein Gedanke, zumindest krauste sich ihre Nase. »Aber deine Putzfrau! Was wird die dazu sagen?«
»Keine Angst, der hab ich freigegeben, damit sie ihre Enkelkinder hüten kann.«
»Wunderbar! Ich bin schon ganz aufgeregt! Wie soll ich posieren? Vielleicht so?«
Ginger warf den Kopf in den Nacken, schürzte die blutroten Lippen und klimperte mit ihren schwarzen, künstlichen Wimpern. Ein Mann, der mit einer dünnlippigen Begleiterin am Nebentisch saß und Harry auf seltsame Weise an Professor
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