Himmelsdiebe
Amerika, und kein Diplomat oder Stierkämpfer kann dir mehr helfen.«
»Abe r – ist es nicht zu privat? Zu intim?«
»Alle Kunst ist privat und intim! Nur darum ist sie ja wahr. Die Wahrheit wächst weder an den Bäumen noch im platonischen Ideenhimmel, sondern allein in der Seele des Künstlers. Glaubst du, Michelangelo hätte seine Pietà schaffen können, wenn er nicht selbst den Schmerz durchlitten hätte, den er mit seiner Skulptur zum Ausdruck bringt?«
»Trotzde m …«
»Kein Trotzdem!«
Laura zog ein Gesicht, als würde ihr irgendetwas zu schaffen machen. Statt sich über seine Begeisterung zu freuen, schien sie beinahe traurig. Eine Weile dachte sie nach, so intensiv, dass Harry glaubte, ihr Gehirn arbeiten zu hören.
»Dann bist du also wirklich der Meinung, ich soll das Angebot des Verlags annehmen?«, fragte sie schließlich.
»Ja natürlich! Was soll ich denn noch sagen, damit du mir endlich glaubst?«
Er wollte sie küssen. Doch sie hob abwehrend die Hände.
»Nein, Harry, keinen Kuss. Du hast es selber so entschieden.«
»Wann denn das?«
»Gerade eben.«
»Ich? Dass ich dich nicht küssen darf? Ausgerechnet!«
»Doch Harry. Du oder das Wahrheitsspiel. Das kannst du dir aussuchen.«
»Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Was meinst du mit Wahrheitsspiel?«
Irritiert musterte er ihr Gesicht. Sie war so blass, als wäre sie krank. Während er versuchte, in ihren schwarzen Augen zu lesen, verhärtete sich ihre Miene wie zu einem Schutzschild. Als wolle sie dahinter alle Gefühle wegsperren, die womöglich aus ihrem Innern nach außen drangen.
Plötzlich wusste er: Irgendetwas war mit ihr geschehen, was nicht in ihrem Manuskript stand. Etwas, das sie gegen ihn einnahm. Etwas, das es ihr verbot, ihn zu küssen.
Wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte, ließ er die Arme fallen.
»Soll das heißen, ic h … ich darf dich nie wiede r …?«
Laura legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Psss t …«
Harry taumelte einen Schritt zurück. Er kam sich vor wie ein Affe, der hinter einen Spiegel gefasst hatte in dem Glauben, dort sein wahres Abbild zu finden, doch dessen Hand ins Leere griff. Welches Geheimnis verbarg Laura vor ihm? Ohne wirklich zu wissen, was geschehen war, ahnte er, dass San Sebastian nicht nur der Ort ihres Zusammenbruchs gewesen war, sondern zugleich einen unwiderruflichen Wendepunkt in ihrem Leben markierte. Es war, als hätten sie plötzlich die Rollen getauscht, als habe nun sie ein Keuschheitsgelübde geleistet, wie damals er selbst, ganz zu Beginn ihrer Liebe. »Irgendjemand ist immer das Opfer«, hatte sie damals gesag t … Er war vollkommen ratlos. Alles, was er wusste, war, dass ihre Entscheidung irgendwie mit der Wahrheit ihres Bildes zu tun hatte, mit dem fehlenden Schlüssel oder Schlusspunkt der Komposition. Und je deutlicher er das spürte, desto größer wurde seine Verzweiflung.
»Warum?«, fragte er. »Ich begreife es nicht. Wir sind doch füreinander geboren.«
»Das hatte ich auch gedacht«, erwiderte Laura. »Und wahrscheinlich stimmt es sogar. Trotzdem dürfen wir nicht zusammen sein.«
»Hast du Angst, wieder verrückt zu werden«, fragte er. »Wenn es das ist, das würde ich verstehen. Aber ich glaube, das ist es gar nicht, so wenig wie das Wahrheitsspie l – egal, was du damit meinst. Es ist etwas anderes. Bitte sag mir, was es ist.«
»Da s … das kann ich nicht.«
»Dann kann ich deine Weigerung nicht akzeptieren.«
»Es wird dir nichts anderes übrig bleiben.« Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte. »Bitte Harry, hör auf, dich und mich zu quälen. Die Sache ist entschieden. Es geht nicht, es gibt kein Zurück mehr. E s … es ist unmöglich.«
»Red keinen Unsinn! Wenn man sich liebt, ist nichts unmöglich!«
Laura schaute ihn an. Ihr blasses Gesicht war starr wie eine Maske. Nur ihre Augen lebten noch. Feucht schimmerten sie von den Tränen, die aus ihrem Innern an die Oberfläche stiegen. Bevor eine Träne hervorquellen konnte, senkte sie den Blick.
»Du hättest nicht die Kraft, diesen Weg mit mir zu gehen«, flüsterte sie. »Du würdest daran zerbrechen. Du selbs t – und vielleicht auch deine Kunst.«
Während sie sprach, hörte Harry Schritte auf dem Flur.
»Ist es wegen deinem Mann?«, sagte er, ohne sich darum zu kümmern, ob Roberto ihn hörte. »Dieser Kretin hat dich nicht verdient.«
»Vor allem hat er nicht verdient, dass du ihn
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