Himmelsdiebe
habe.‹ Wie kann man nur so dämlich sein! Da muss ja jeder normale Mensch glauben, Harry Winter ließe nur solche Amerikaner als Künstler gelten, die einen Kopfputz tragen und in Kriegsbemalung um einen Marterpfahl herumtanzen.«
»Aber das hat er doch gar nicht so gemeint. Das ist doch nur seine Begeisterung für die Indianerkunst.«
»Das brauchen Sie mir nicht zu erzählen, schließlich bin ich seine Squaw. Unser Haus ist inzwischen der reinste Wigwa m – in jedem Zimmer nichts als Kachinas und Masken und Totempfähle. Ein Vermögen kostet mich sein Indianertick! Trotzdem darf er so etwas nicht in der Öffentlichkeit sagen. Er kann sich doch an fünf Fingern ausrechnen, wie das bei den Pressefritzen ankommt! Und das eine Woche vor der Eröffnung!«
»Wenn die Leute seine Bilder sehen, werden sie verstehen, wie er die Bemerkung gemeint hat.«
»J a – wenn !«, schnaubte Debbie. »Ach Bobby, Sie sind ein guter Junge. Aber manchmal glaube ich, Sie bewundern Harry mehr, als er verdient. Sie haben einen Vaterkomplex! Dabei ist Ihr Vater selber ein großes Kind. Immer muss er im Mittelpunkt stehen. Jedes Gespräch wendet er so, dass alles sich um ihn dreht, egal, bei welchem Thema. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie er auf seinen Bildern posiert? Am liebsten in seinem weißen Pelzmante l – wie ein regierender Renaissancefürst! Als könne er nur existieren, wenn die Menschen ihn lieben und das Licht der Öffentlichkeit auf ihn strahlt. Ich bin sicher, das allein ist der Grund, warum er diesen Unsinn über die Primitiven gesagt hat. Nur damit die Journalisten über ihn schreibe n – Harry Winter, der große Künstler aus Deutschland, das letzte Rätsel des Abendlande s …«
Debbie hatte sich so sehr in Rage geredet, dass Bobby verstummte. Um die Peinlichkeit zu übergehen, trat er an die Wand und rückte ein Bild zurecht.
»Tut mir leid«, sagte Debbie, »ich möchte Sie nicht negativ beeinflussen. Im Gegentei l – ich wünsche mir nichts mehr, als dass Sie und Harry sich verstehen und ein gutes Verhältnis zueinander haben. Irgendwie meinte ich nu r … Ich dachte, ich könnte vielleich t … Ach, ich weiß auch nicht . – Bitte entschuldigen Sie, ich rede zu viel.«
Es entstand ein betretenes Schweigen. Zum Glück hatte Bobby eine Frage.
»Wo ist die Collage jetzt überhaupt?«, wollte er wissen.
»Die Himmelsbeute ?« Dankbar griff sie die Frage auf. »In einer Seemannskiste. Darin hat Laura sie letzte Woche zu uns nach Hause geschickt. Ach, hätte sie das Bild nur gelassen, wo es war. Als die Kiste ankam, hat Harry sich in die Leinwand gewickelt wie ein alter Indianer in seine Pferdedecke, wenn er zum Sterben in die Berge geht. Stundenlang hat er so dagesessen, auf seinem goldenen Thron, eingewickelt in diese riesige, zusammengeflickte Leinwand, und hat auf den Hudson gestarrt. Noch nie habe ich bei einem Menschen eine solche Trauer gesehen. Mein Gott, dass Harry dazu überhaupt fähig is t …«
Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, und griff nach Bobbys Hand. Unsicher erwiderte er ihren Blick. Der Junge sah seinem Vater so verteufelt ähnlich, dass es kaum auszuhalten war.
»Er hat mich doch auch geliebt, oder?«, flüsterte sie. »Bitte sagen Sie es mir! Sonst werde ich noch verrückt! Er muss mich doch geliebt haben!«
Während die Tränen ihr über die Wangen rannen, lief Bobby rot an. Vor lauter Verlegenheit schlug er die Augen nieder.
»Ja, Debbie«, sagte er so leise, dass sie ihn kaum verstand. »Bestimmt hat er das. Ganz sicher sogar.«
2
Der Portier der Banana Bar, ein Zwei-Meter-Hüne in einer roten, goldbetressten Zirkusuniform, zwinkerte Harry verschwörerisch zu.
»Ich habe dem Kellner gesagt, er soll Sie an einem Tisch in der ersten Reihe platzieren.«
Harry drückte ihm ein Trinkgeld in die Hand und tastete sich in die Richtung, in die der Portier zeigte. Durch den Rauch konnte er in der Dunkelheit kaum etwas erkennen. Aber die kreischende Jazzmusik, die irgendwo eine unsichtbare Band produzierte, reichte halbwegs zu seiner Orientierung. Wenn ihn nicht alles täuschte, näherte Ginger sich gerade dem Finale.
»Was soll ich Ihnen bringen, Mister?«, fragte der Kellner.
»Whiskey!«
Harry ließ sich auf einen Stuhl fallen. Die Banana Bar war nicht das erste Lokal, das er an diesem Abend besuchte. Während er in den Taschen seines Anzugs nach seinem Lorgnon suchte, blickte er zur Bühne. Ginger trug nur noch einen Slip, schwarze Netzstümpfe und ein Paar hochhackige
Weitere Kostenlose Bücher