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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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zu bedeuten. Die herrlichsten Blumen blühten bekanntlich dort, wo man zuvor ordentlich Mist gedüngt hatte, und Kunst entstand nicht in den teuren Appartements der Champs-Élysées, sondern in so erbärmlichen Behausungen wie dieser, hervorgezaubert aus den stinkenden, verfaulten Abfällen der Stadt. Debbie war für eine Sekunde beeindruckt von der Klugheit ihres eigenen Gedankens. Vielleicht sollte sie darüber mal ein Buch schreiben? Es wäre eine wunderbare Ohrfeige für all die aufgeblasenen und langweiligen Idioten, die zusammen mit ihr in der Park Avenue lebten.
    Mit ihrem doppelt beringten Zeigefinger klopfte sie an das Klappfenster der Concierge. »Wo finde ich Harry Winter?«
    Ein bebrilltes Eulengesicht mit Lockenwicklern im Haar erschien in der Fensteröffnung. »Dritter Stock links, Dienstbotenaufgang.«
    Im Treppenhaus roch es nach in schlechtem Öl gebratenem Fleisch, und der Putz blätterte von den Wänden. Debbie spürte ein angenehmes Kribbeln, als sie auf die Klingel drückte. Was für Abenteuer sich hier wohl schon ereignet hatten? Sie sah leidenschaftliche Umarmungen, hörte das Rascheln von Kleidern und atemlos geflüsterte Liebesworte, wie in den Romanen von Balzac und Maupassant.
    Da ging die Tür auf.
    Debbie hob die Brauen. Ihre Erwartungen wurden auf das Erfreulichste bestätigt, wenn nicht übertroffen. Obwohl der Mann in der Tür, der sie mit kalten blauen Augen empfing, schon an die fünfzig Jahre sein musste, war er phantastisch gebaut, und seine Nase glich dem Schnabel eines gefährlichen Raubvogels.
    »Harry Winter?«, fragte sie. »Sind Sie es persönlich?«
    »Nein, ich bin nur sein Butler. Wen darf ich melden?«
    Was für eine unverschämte Lüg e … Ohne mit der Wimper zu zucken, ging sie auf sein Spiel ein.
    »Debbie Jacobs. Ich werde erwartet.«
    »Bitte gedulden Sie sich einen Augenblick. Monsieur Winter ist gerade sehr beschäftigt.«
    Damit wandte er sich ab und ließ sie in der Tür stehen, die er im Gehen halb hinter sich zuzog, ohne sie hereinzubitten. Debbie war ziemlich perplex. Wenn das immer noch ein Spiel sein sollte, war es keins mehr, das ihr gefiel. Durch den Türspalt sah sie eine winzige Wohnung, die aus einem einzigen heillosen Durcheinander von Bildern und Staffeleien und Flohmarktmöbeln zu bestehen schien. Mitten in dem Chaos stand eine unverschämt hübsche, junge Frau, die ohne Weiteres seine Tochter hätte sein können, dies aber ganz offenbar nicht war. Sie war seine Geliebte, für so etwas hatte Debbie einen ebenso untrüglichen Instinkt wie für Geld. Die beiden verhielten sich, als hätte nie jemand an ihrer Tür geläutet. Harry Winter war extrem missgelaunt, er schien aufgebracht zu sein. Ohne Notiz von ihr zu nehmen, fluchte er in einem grauenhaften Englisch über irgendwelche Schwierigkeiten, die er offenbar mit den Behörden hatte.
    »Wenn sie dich fortjagen«, erwiderte die junge Frau auf seine Tiraden, »komme ich mit nach Deutschland. Ich bin noch nie in Berlin gewesen.«
    »Was willst du da?«, fragte er. »Hakenkreuze besichtigen? Ich kann in Deutschland nicht arbeiten. Ich habe da Berufsverbot!«
    »Wunderba r – dann hast du ja jede Menge Zeit. Ich habe auch schon eine Idee, was wir dort machen. Wir verwandeln die Hakenkreuze in Windmühlen. Ein paar Pinselstriche genügen. Oder in Käsekästchen. Außerdem sind fünfzig Pfund in Reichsmark wahrscheinlich viel mehr wert als in französischen Francs. Ich habe gestern im Radio die Wechselkurse…« Mitten im Satz verstummte sie und hielt sich die Hand vor den Mund, als müsste sie sich übergeben.
    »Was ist? Was hast du?«, wollte er wissen.
    »Ich weiß nicht. Mir ist plötzlich nicht gut. Ich habe so komische Blähkrämpf e – im ganzen Leib, von der Brust bis in den Magen. Als würde sich alles in mir zusammenziehen, um sich dann wieder aufzupumpen.«
    »Das hattest du letzte Woche auch schon«, sagte er, sichtlich besorgt. »Willst du, dass ich dir einen Tee brühe? Auf jeden Fall solltest du mal mit einem Arzt darüber reden. So was ist doch nicht normal.«
    Noch während er sprach, öffnete er eine Tür, hinter der ein Stapel ungewaschenen Geschirrs zu erkennen gab, dass sich dort die Küche befand. Debbie hatte die Nase voll. War das Harry Winters berühmter Charme? Sie war zwar schlechtes Benehmen gewohnt, schließlich verkehrte sie seit Jahren mit Künstlern, aber das war mehr, als sie tolerieren konnte. Sie öffnete die Tür und betrat den Raum.
    »Wenn Sie so freundlich sein

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