Himmelsdiebe
Konzentrationslager stecken.«
»Entarteter Künstler?«, fragte der Polizist. »Was ist das? So etwas kennen wir hier nicht.«
»Eben darum lebe ich hier!«, rief Harry. »Paris ist die Stadt der Freiheit! Die einzige Stadt in Europa, in der man noch atmen kann!«
Ein geschmeicheltes Lächeln huschte über das Gesicht des Polizisten. Harry sah es mit Erleichterung. Der Glaube der Pariser an ihren eigenen Mythos war ungebrochen, und wer sie darin bestätigte, war ihr Freun d – trotz Tausender Flüchtlinge aus Deutschland und Italien, die in der Illegalität beinahe verreckten, weil sie in Paris nicht arbeiten durften.
Harry beugte sich über den Schreibtisch und tippte auf das Dossier.
»Wer hat mich denunziert?«, fragte er. »Bestimmt irgendein gottverdammter Nazi, oder?«
Der Beamte wollte etwas erwidern, doch jemand anderes kam ihm zuvor.
»Das wollen wir nicht hoffen.«
Harry drehte sich um. Herein kam ein Zivilist mit gewelltem braunen Haar, feinem Oberlippenbart und einer Nelke im Knopfloc h – Monsieur Philibert, Florences Vater.
»Unsere Informationen stammen von Ihrem Herrn Sohn, Monsieur Winter. Ich hatte unlängst das Vergnügen, mit ihm zu telefonieren. Ein sehr aufgeweckter junger Mann. Und ihm wollen wir doch nicht unterstellen, dass er ein Nazi ist, nicht wahr?«
Er nahm mit einer Gesäßhälfte auf dem Schreibtisch Platz, und während er dem Beamten, der bei seinem Anblick salutierend in die Höhe geschossen war, mit einer Kopfbewegung bedeutete, den Raum zu verlassen, drehte er die leere Weinflasche in seiner Hand.
»Was ist das für ein Spiel, das Sie mit mir spielen?«, fragte Harry. »Ein Jeu de vérité ?«
»Wie immer sehr geistreich, unser deutscher Herr Schwiegersohn. Ja, vielleicht haben Sie recht, vielleicht ist es wirklich ein Wahrheitsspiel.« Philibert warf die Flasche in einen Papierkorb und schaute Harry an. »Meine Tochter liebt Sie, Monsieur, der Himmel allein weiß, warum. Sie wollte sich Ihretwegen das Leben nehmen.«
»Sie kennen Florence so gut wie ich und wissen, dass sie nur Theater gespielt hat.«
»Theater? Nun, für Sie mag das alles eine Komödie sein, aber in meinen Augen ist das ein fürchterliches Drama. Meine Frau und ich haben versucht, unsere Tochter im Geist philosophischer Vernunft zu erziehen. Doch Sie haben sie in solche Verzweiflung gestürzt, dass sie wieder das Beten angefangen hat, wie ein unmündiges Kind!«
»Das gibt Ihnen kein Recht, mich aus dem Land zu jagen.«
»Sie wollen mich über französisches Recht belehren?«, fragte Philibert. »Na, dann wollen wir mal sehen.« Er nahm den Aktendeckel vom Schreibtisch und schlug ihn auf. »Welche regelmäßigen Einkünfte können Sie nachweisen?«
»Ich habe keine regelmäßigen Einkünfte. Ich bin Künstler. Das ist Ihnen bekannt.«
»Aber von irgendetwas müssen Sie doch leben. So will es nicht nur die Natur, sondern auch das Gesetz. Ihre Aufenthaltsgenehmigung ist an die Bedingung eines Einkommens geknüpft. Jetzt schauen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an, ich habe das Gesetz nicht gemacht.« Er strich sich mit dem Zeigefinger über seinen Oberlippenbart. »Heraus mit der Sprache, mein Freund! Wovon bezahlen Sie Ihre Miete? Die Rechnungen im Café Flore ? Sicher haben Sie Verkäufe getätigt! Ihre Bilder gelten unter Fachleuten ja als ganz große Kunst.«
Als Harry seinen höhnischen Blick erwiderte, wusste er plötzlich, wer ihn seit seiner Rückkehr aus London in Paris sabotierte. Niemand anderes als dieser Man n – Florences Vater. Sein Einfluss war groß genug, um ihn bei sämtlichen Galeristen und Sammlern der Stadt unmöglich zu machen. Außerdem würde eine solche Niedertracht zu ihm passen. Als Philibert vor Jahren erfahren hatte, dass Harry und Florence eine Liaison unterhielten, hatte er den deutschen Entführer seiner Tochter steckbrieflich suchen lassen und erst Ruhe gegeben, als Harry sich bereit erklärt hatte, die »Entehrte« mit einem Maiglöckchenstrauß zu heiraten.
Harry hätte dem Lackaffen am liebsten ins Gesicht gespuckt. Stattdessen sagte er: »Ich erwarte in Kürze den Besuch einer bedeutenden Kunstsammlerin. Debbie Jacobs, sicher haben Sie den Namen schon mal gehör t – eine der reichsten Frauen Amerikas. Sie hat die Absicht, ein Museum in New York mit meinen Bilder n …«
»Amerikanische Kunstsammlerin? Museum in New York?«, fiel Philibert ihm ins Wort. »Papperlapapp! Ich will wissen, wovon Sie hier und jetzt lebe n – Ihr Wolkenkuckucksheim
Weitere Kostenlose Bücher