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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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entgegenblickte: War das ihr wahres Ic h – das unbekannte Gesicht ihrer Seele, das sie sich selbst so viele Jahre verboten hatte?
    Heute Nacht wollte sie die Antwort wissen. Das Kleid war wie ein ärmelloses Hemd geschnitten, ein einziges seidiges Schmeicheln, und darunter war sie splitternackt. Jede Form von Unterwäsche wäre Sünde gewesen. Dieses Kleid war einzig zu dem Zweck geschaffen, dass seine Trägerin sich darin selber spürte, rein und unverfälsch t – so, wie sie wirklich war. Konnte es ein besseres Gewand geben, um Harry zum Bruch seines elenden Gelübdes zu verführen? Selbst Pompon hatte große Augen gemacht und es »phantastisch« genannt. Als hätte sie sich mit Ameisensäure eingerieben, brannten auf ihrer Haut von allen Seiten begehrliche Blicke. Vor allem Roberto Jiménez, ein neuer Gast im Café Flore , ein mexikanischer Diplomat, dessen Leidenschaft angeblich der Stierkampf war, verschlang sie förmlich mit seinen dunklen Augen, die vor Sinnlichkeit glühten. Ein Raubtier, das auf Beute lauerte.
    Nur Harry schien Laura nicht zu beachten. Er war in ein Gespräch mit Pompon vertieft.
    »Du hast Pierre wirklich exkommuniziert?«, fragte er.
    »Mir blieb keine andere Wahl, das Wahrheitsspiel hat so entschieden. Pierre Lauréat hat nichts mehr in unseren Reihen verloren.« Pompon reichte Harry ein Blatt Papier. »Hier, das musst du unterschreiben.«
    »Was ist das?«
    »Eine Resolution. Darin rufen wir zum Boykott seiner Gedichte auf.«
    »Bist du verrückt? Eher besuche ich die Sonntagsmesse in Notre-Dame! Pierre ist mein Freund! Außerdem habe ich gerade andere Sorgen. Mein Schwiegervater will mich aus Frankreich ausweisen.«
    »Deine privaten Probleme gehen uns nichts an. Das Einzige, worauf es jetzt ankommt, ist die Bewegung! Wer nicht unterschreibt, wird gleichfalls exkommuniziert.«
    »Das ist Gesinnungsterror«, rief Harry. »Du bist ja schlimmer als der Faschist Philibert!«
    Während er sprach, spürte Laura, wie sich ein dunkler Schatten über sie senkte.
    »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
    Sie drehte sich um. Vor ihr stand der Mexikaner, mit einer Karaffe Wein in der Hand. Unwillkürlich zog sie den Träger ihres Kleides hoch.
    »Ich dachte, Sie interessieren sich nur für Stiere?«, sagte sie.
    »Ich interessiere mich nur für die Schönheit«, erwiderte er in einem harten Französisch, das nach Sonne und Wüste klang. »Ihr Begleiter scheint allerdings nicht viel davon zu verstehen. Sonst würde er Ihnen nicht die Anbetung verweigern, die er Ihnen schuldet.«
    Laura schaute hinüber zu Harry, in der Hoffnung, dass er Robertos Worte hörte. Doch Harry kümmerte sich nicht die Bohne. Warum ließ er sie den ganzen Abend alleine hier hocken? Es war doch seine Idee gewesen, ihren ersten Verkauf im Flore zu feiern! Wieder spürte sie diese Blähkrämpfe im Leib. Vielleicht gab es ja einen einfachen Grund, warum Harry sie keines Blickes würdigte. Vielleicht war sie ihm gleichgültig geworden, noch bevor er sie jemals angerührt hatte. Weil sie ein kleines dummes Mädchen war, ein hübsches Spielzeug, das in seinen Augen gerade mal zur Muse taugte, mehr nich t … Wie ein gottverdammter Spießer, der sich am Stammtisch von seiner Ehe erholt, unterhielt Harry sich mit Pompon, und ohne sein Gespräch auch nur für eine Sekunde zu unterbrechen, prostete er ihr mit einem zerstreuten Lächeln und leeren Weinglas zu.
    Sie blies sich eine Locke aus der Stirn.
    Was dann geschah, passierte von ganz allein.
    »Finden Sie es nicht auch fürchterlich heiß hier?«, fragte Laura.
    Noch während sie sprach, stand sie von ihrem Platz auf und ließ dabei das Kleid von ihrem Körper fallen. Nackt, wie Gott sie erschaffen hatte, stand sie plötzlich im Saal.
    Im selben Moment waren alle Gespräche verstummt. Während die Stille sich rings um sie her ausbreitete wie in einer Kirche, drehte Harry sich zu ihr um.
    Endlich, endlich schaute er sie an! Laura erwiderte seinen Blick. Sie sah die Begierde in seinen Augen, die Erregung, das Verlangen, mit dem Dada an die Festung seiner Willenskraft pochte.
    Mit einem Lächeln streckte sie den Arm nach ihm aus. »Komm«, sagte sie. »Gehen wir nach Hause.«
    Die übrigen Gäste klatschten vor Begeisterung, doch Laura hörte den Applaus nur wie ein fernes Rauschen. Während er mit den Augen die Schönheit ihres Körpers trank, stand Harry ohne ein Wort auf und griff nach ihrer Hand.
    Sah er endlich ein, wie absurd sein Gelübde war?
    So plötzlich, wie der Applaus

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