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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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machen. Das deutsche Volk verdient es, vor diesen kranken Hirnen beschützt zu werden. Diese Schänder der Schönheit und der Kunst gehören in geschlossene Anstalten für kriminelle Irre, bis sie wieder lernen, was deutsche Wesensart heißt.«
    Es war, als ob Jauche von der Decke spritzen würde. Doch die Besucher der Ausstellung starrten zu dem Lautsprecher hinauf, als rieselte Manna auf sie herab, und eine Frau bekreuzigte sich. Bobby konnte es nicht fassen. Begriff sie denn nicht, dass es genau umgekehrt war? Dass sie sich selber in einem gigantischen Irrenhaus befand? Und die Maler dieser Ausstellung vielleicht die einzigen Normalen waren, die es in diesem Land noch gab?
    Der Gedanke überkam Bobby wie eine Erleuchtung. Im selben Augenblick spürte er einen unbändigen Stolz. Hitler und seine Übermenschen hatten vor den Bildern seines Vaters Angst! So große Angst, dass sie ihren ganzen Machtapparat mobilisierten, um sie zu vernichten!
    »Nun, was halten Sie von dem Schweinkram?«, fragte ein Aufseher, als er den Wagen verließ.
    Bobby blickte den Mann an: ein offenes, sympathisches Gesicht, aus dem zwei freundliche blaue Augen schauten, dazu zahllose kleine Lachfalten an den Schläfen.
    »Mein Vater gehört zu den Künstlern der Ausstellung«, platzte es aus Bobby heraus.
    Die Lachfalten des Aufsehers strafften sich. »Was sagen Sie da?«
    Bobby spürte den Atem auf seiner Haut. Der Mann roch nach rohen Zwiebeln und Fisc h – wahrscheinlich hatte er Matjes-Heringe zum Frühstück gegessen.
    Plötzlich hatte Bobby das Gefühl, dass es der Atem des Todes war, der ihn aus diesem freundlichen Gesicht anwehte. Panisch vor Angst lief er davon.
    Irgendwo hinter dem Dom, zwischen zwei Masten mit Hakenkreuzfahnen, fand er eine öffentliche Toilette. Zum Glück war sie frei. Noch während er die Tür hinter sich zuzog, beugte er sich über die Schüssel, um sich zu übergeben, eine Hand an die Brust gepresst, damit das Visum nicht aus der Tasche rutschte.
    6
    Der Polizeibeamte, der in der Wachstube der Rue Jacob an diesem Abend Dienst hatte, goss gerade einen Gummibaum, als Harry mit seiner Vorladung das Polizeirevier betrat. In der Ecke gegenüber der Tür bullerte ein Kanonenofen und verbreitete eine gemütlich muffige Wärme.
    »Hier steht, Sie wollen mich aus Frankreich ausweisen«, sagte Harry. »Wie kommen Sie dazu?«
    Ohne seine Arbeit zu unterbrechen, warf der Beamte einen Blick auf das Papier. »Können Sie nicht lesen? Sie sind ein ›unerwünschter Ausländer‹.«
    »Ich? Ausländer? In Paris?« Harry schnappte nach Luft. »Dass ich nicht lache!«
    »Lachen Sie nur, Lachen ist gesund. Aber es wird Ihnen nichts nützen.« Der Polizist stellte die mit Wasser gefüllte Weinflasche ab, die er als Gießkanne benutzt hatte, und setzte sich an seinen Schreibtisch. »Wie ich sehe«, sagte er, während er in irgendwelchen Unterlagen blätterte, »sind Sie immer noch in Deutschland gemeldet.«
    »Ja und?«, erwiderte Harry. »Ich lebe bereits seit 1925 in Paris. Ich habe eine gültige Aufenthaltsgenehmigung.«
    »Mag sein. Aber das ist ja das Problem. Weil Sie gleichzeitig in Deutschland registriert sind. In Köln.« Der Beamte runzelte die Brauen und schaute von seinen Unterlagen auf. »Gibt es da nicht diesen seltsamen Dom, der nie fertig wird?«
    Harry witterte Morgenluft. Wenn ein Mensch sich für Architektur interessierte, dan n … Doch bevor er antworten konnte, wurde die Miene des Polizisten schon wieder amtlich.
    »Sie haben zwei Wochen Zeit, das Land zu verlassen«, sagte er und klappte seinen Aktendeckel zu. »Die französische Regierung duldet keine doppelte Staatsangehörigkeit.«
    »Zwei Wochen?«
    Harry verschlug es die Sprache. Vor drei Tagen erst hatte er Post aus Deutschland bekomme n – von seinem Sohn, der seit Jahren nichts mehr von ihm hatte wissen wollen! Bobby hatte geschrieben, dass er ihn besuchen komme, hier in Paris. Um sich mit seinem Vater auszusprechen, bevor er weiter nach New York reise. Harry hatte sich derart darüber gefreut, dass er im Café Flore eine Lokalrunde geschmissen hatte. Die Vorstellung, dass Bobby jetzt vielleicht nach Paris kam, während er selber zurück nach Köln musste, war dagegen so grotesk, dass es fast schon wieder komisch war.
    »Sie können mich nicht ausweisen«, erklärte Harry.
    »Und warum nicht?«, wollte der Beamte wissen.
    »Ich gelte in Deutschland als entarteter Künstler. Wenn Sie mich dahin zurückschicken, können Sie mich gleich in ein

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