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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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lag eine große Spritze mit einem Gummiballon sowie eine Reihe silbern glänzender Instrumente. Abgesehen von dem Fischgestank und der Blümchendecke war es nicht viel anders als in der Praxis von Dr. Drieux.
    »Den Stuhl hat ein Tischler nach meinen Anweisungen gemacht«, sagte Madame Clotilde und streifte sich ein Paar Gummihandschuhe über. »Meine Mädchen sollen es bequem haben. Der Tischler hat sich zwar gewundert, wofür ich so ein Gestell brauche, aber als ich ihm sagte, ich will ein Bordell aufmachen, hat er gelacht und nicht weiter gefragt.« Sie trat zu Florence, schlug den Faltenrock hoch und schob ihre Beine mit sanftem Druck auseinander. »Dann wollen wir mal sehen.«
    Florence hielt die Luft an. Eine Freundin hatte ihr gesagt, bei ihr hätte es fast gar nicht wehgetan. Aber was half das gegen die Angst? Gegen ihren Willen musste sie immer wieder zu dem Tisch mit der Spritze und den Instrumenten schauen, während Madame Clotilde sich an ihrem Schoß zu schaffen machte. Um nicht den grauen Scheitel der Frau zu sehen, drehte Florence den Kopf zur Seite. Auf der Fensterbank, unter dem Blumentopf, klemmten die Geldscheine. Die hatte ihr Vater ihr zum Geburtstag geschenkt, für ein Wochenende am Mee r … Jetzt gleich oder nachher? Lieber jetzt gleich, man kann ja nie wissen … Als Madame Clotilde einen Finger in sie steckte, brach Florence der Schweiß aus, und sie musste die Zähne zusammenpressen, damit sie nicht aufeinanderschlugen.
    »Nicht so verkrampfen, Kindchen. Als es passiert ist, warst du doch auch nicht verkrampft, oder? Ach, was ihr auch immer für Sachen macht! Aber zum Glück gibt’s ja Vaseline.«
    Als Madame Clotilde die Creme auftrug, entspannte Florence sich ein wenig. Sie wusste, manche Frauen waren so trocken, dass sie stets Vaseline benutzen mussten, damit überhaupt ein Mann zu ihnen kommen konnte. Sie selber hatte solche Mittel nie gebraucht. Sie war immer bereit gewesen, egal ob morgens oder abends oder mitten in der Nacht. Sie schloss die Augen, um nicht mehr da zu sein. Es war, als würden ihre Gedanken sich von ihrem Körper lösen. Harry war ein so zärtlicher Liebhaber, verspielt wie ein junger Hund, und sie hatte ihm alles gegeben, was eine Frau einem Mann geben konnte. Keine einzige Stelle gab es an ihrem Körper, die er nicht besessen hatt e … Wenn er zum Höhepunkt kam, bestand sein Gesicht nur noch aus seinen Augen. Immer größer und heller und blauer wurden sie. Florence hatte sich manchmal gewundert, dass sie nicht aus ihren Höhlen sprangen.
    Ein metallisches Klirren holte sie in die Wirklichkeit zurück. Als sie die Augen aufschlug, sah sie Madame Clotilde, mit der Ballonspritze in der Hand.
    »Wa s … was ist da drin?«
    »Seifenlauge. Damit alles schön einweicht. Manche nehmen auch Kamillentee. Aber ich schwöre auf Seifenlauge, aus guter französischer Kernseife.«
    Florence spürte, wie sich die Lösung in ihrem Unterleib ausbreitete, eine warme, sanfte Flut. Es brannte nur ein bisschen, das war alles.
    »Hat’s wehgetan?«
    Sie schüttelte stumm den Kopf.
    »Na also.«
    Madame Clotilde legte die Spritze beiseite. Angespannt verfolgte Florence jede ihrer Bewegungen. Was hatte sie als Nächstes vor?
    Da klingelte das Telefon.
    Madame Clotilde strahlte über ihr ganzes breites bretonisches Gesicht. »Das wird meine Nichte sein. Sie ruft wegen Weihnachten an. Damit ich weiß, was sie sich wünscht.« Sie nahm den Hörer ab. »Bist du’s, Mimi? Wie geht es meinem kleinen Liebling?« Sie hielt die Hand auf die Muschel und blickte über die Schulter. »Du brauchst im Moment gar nichts zu tun, Kindchen. Halt einfach nur still. Damit die Lauge einwirkt. Das dauert eine Weile.«
    Madame Clotilde steckte sich eine Zigarette an. Während sie mit ihrer Nichte über Puppen und Puppenkleider sprach, wurde Florence auf einmal entsetzlich müde. Sie wurde immer müde, wenn sie Angst hatte. Schon in der Schule war das so gewesen, vor allen Prüfungen und auch im Abitur. Während sie sich fühlte, als hätte sie schweren, süßen Wein getrunken, sah sie durch das Souterrainfenster die Beine der Straßenpassanten, undeutlich und verschwommen, wie durch eine Brille mit zu dicken Gläsern. Ob das auch von dem Chinin kam? Kinder spielten auf dem Bürgersteig, direkt über der Wohnung. Obwohl Florence nur die Beine sah, glaubte sie die Stimmen zu hören. Wie sehr hatte sie sich auf ihr Kind gefreut. Sie wusste, es war ein Jung e – sie hatte ihn im Traum ganz deutlich gesehen.

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