Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
nichts weiter empfunden hatte als einen kurz aufblitzenden, reißenden Schmerz, und für ein paar Minuten Lust hatte sie womöglich ihr wirkliches, ihr eigentliches Leben geopfert. Nein, Harry hatte recht, tausend und abertausend Mal! Das war der Austausch von Körpersäften nicht wer t … Zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte Laura die Treppe hinauf. Sie konnte es kaum noch erwarten, den Tee zu trinken, damit sie das Gekrampfe in ihrem Magen endlich auskotzen konnte.
    Als sie die Tür zu ihrer Wohnung öffnete, schrak sie zusammen.
    Vor ihr stand Harry, so wie er ihr beim ersten Mal erschienen war, hager, aufrecht, in seinem schwarzen Cape. Ganz in Gedanken versunken, betrachtete er das Bild auf der Staffelei: Un peu de paix .
    Unschlüssig verharrte Laura auf der Schwelle. Offenbar hatte er sie nicht bemerkt. Jedenfalls gab er mit keinem Zeichen zu erkennen, dass er Notiz von ihr genommen hatte.
    Weshalb war er zurückgekommen? Um seine Sachen abzuholen?
    »Hallo Harry«, sagte sie, als sie die Stille nicht länger ertrug.
    Es schien eine Ewigkeit, bis er reagierte. Wie in Zeitlupe drehte er sich um und schaute sie an, mit seinen blauen, kalten Augen. Dabei tippte er mit dem Finger auf das Bild, genau auf die Stelle, die sie selber ausgemalt hatte, um die entsetzliche Einsamkeit zu bekämpfen, die sie nach der Trennung befallen hatte. Sie hatte dort zwei kleine Figuren auf der Leinwand eingefügt, ein winziges Vogelwesen, umhüllt und beschützt von einer weiblichen Silhouette, im Schatten eines Waldes. Dada und die Windsbraut.
    »Warst du das?«, fragte er.
    Laura nickte, in Erwartung eines Wutanfalls. Stattdessen lächelte er sie an, mit einem ganz zarten, fast zerbrechlichen Lächeln, das sie noch nie zuvor an ihm gesehen hatte.
    »Ich glaube«, sagte er, »Du bist der einzige Mensch, der mich versteht.«
    15
    Irgendwo spielte ein Radio. Aus dem Treppenhaus hallte lautes Kinderlachen empor, dazu die mahnende Stimme einer Mutter. Eine Etagentür fiel mit einem Knall ins Schloss, dann eiliges Fußgetrappel, das sich allmählich in der Tiefe verlor. Laura hörte es und hörte es nicht. Es war, als würde mit dem Fußgetrappel alle Wirklichkeit verhallen, alle Angst sich auflösen, sich verflüchtigen, wie die Krämpfe in ihrem Magen. Vor ihr stand der Große Zauberer, der Mann, von dem sie als Kind schon geträumt hatte: ein schwarz gefiederter Menschenvogel mit hellen, überklaren Augen und weißem Flaum an den Schläfen.
    Endlich hatte er einen Namen.
    »Dada«, sagte sie leise. »Bist du es wirklich?«
    Statt einer Antwort nahm er sie in den Arm, und sie versanken in einem Kuss, der alle Fragen erübrigte.
    »Was für ein Idiot bin ich gewesen«, flüsterte er, sein Gesicht an ihrem Gesicht, während seine Hände nach den Knöpfen ihrer Bluse suchten.
    »Ein Riesenidio t …«, flüsterte auch sie und tastete nach seiner Gürtelschnalle.
    »Tantalusqualen hab ich gelitte n …«
    »Die hast du verdient, mit deinem dämlichen Gelübd e …«
    »Was für ein Gelübde? Ich weiß gar nicht, wovon du redes t …«
    Sein schwarzes Cape glitt zu Boden, und plötzlich waren sie nackt. Irgendwo im Himmel hatte jemand eine große unsichtbare Flasche gedreht, um jenes uralte Wahrheitsspiel in Gang zu setzen, das schon Millionen und Milliarden von Menschen miteinander gespielt hatten und das doch mit jedem Menschenpaar, mit jedem Mann und jeder Frau, von Neuem anfing, wie beim allerersten Mal. Es gab nur noch ihre Blicke, ihren Atem, ihre Haut. Ohne dass ihre Lippen sich voneinander lösten, taumelten sie durch das Zimmer, die Arme, die Beine, die Körper ineinander verschlungen, als wären sie bereits ein einziges Wesen, und landeten auf dem Bett. Ächzend sank das Gestell in sich zusammen, doch es kümmerte sie nicht. Sie waren Adam und Eva, und bis zum Paradies war es nur noch ein Schritt.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, hauchte Harry ihr ins Ohr. »Es tut nur einmal kurz weh!«
    » Du brauchst keine Angst zu haben«, erwiderte sie. »Es hat nämlich schon mal wehgetan.«
    Er hielt für einen Moment inne und schaute sie an. »Der Stierkämpfer?«
    »Ja«, sagte sie. »Ich dachte, es ist einfacher, wenn ein anderer den Pflichtteil erledigt.«
    Sein Gesicht schwoll an, und für einen Moment sah er aus, als würde er explodieren. Laura schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Jetzt ja nicht niesen! Als hätte irgendjemand ihr Flehen gehört, schüttelte Harry den Kopf, und seine blauen Augen lachten schon wieder.
    »Dann

Weitere Kostenlose Bücher