Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
bleibt mir also nur die Kür?«
    Laura breitete die Arme aus. »Hör endlich auf zu quatschen.«
    Mit einem Seufzer nahm sie ihn auf. Seit Monaten hatte sie diesen Augenblick herbeigesehnt, ohne eine wirkliche Vorstellung zu haben, was passieren würde. In ihren Träumen hatte sie sich den Moment als einen ziemlich ernsten und feierlichen Akt vorgestell t – so ernst und feierlich wie die Tänze, die sie vor langer, langer Zeit geübt hatte, für den Debütantinnenball bei Hofe. Die Vermählung mit dem Großen Zauberer war schließlich ein magischer Augenblick! Doch die Wirklichkeit war viel schöner. Alles Leben war nur noch Gefühl, eine einzige tanzende Woge. Noch nie hatte Laura eine solche Leichtigkeit erlebt, ohne jede Peinlichkeit oder Angst oder Fremdheit oder falsche Würde. Während die Matratze unter ihr quietschte, flog sie jauchzend zum Himmel empor. Der Große Zauberer war kein Fabelwesen, sondern Dada, und sie, die Windsbraut, entführte ihn in die Lüfte. Nichts war mehr da, was sie am Boden hielt. Zusammen wirbelten sie im Kreise, zwei Tänzer in einem Ballett, höher und immer noch höher hinauf, als wäre alle Erdenschwere aufgehoben. Und als es nicht mehr höher ging, als sie vergingen vor Lust, um darin neu geboren zu werden, sagte Dada jene drei Worte, die Harry niemals hatte aussprechen wollen.
    »Ich liebe dic h …«
    Aufgestützt auf beide Hände, sein Leib in ihrem Leib, blickte er ihr dabei so ernst und feierlich in die Augen, dass Laura schlucken musste.
    »Habe ich was Falsches gesagt?«, fragte er erschrocken.
    Sie schüttelte den Kopf. »Wie kannst du nur so blöd fragen?«
    »Ich dachte, vielleicht verachtest du mich jetzt. Schließlich hatte ich dir versprochen, dich mit solchem Kitsch zu verschonen. Aber es musste sein. Wei l …« Auch er musste jetzt schlucken, und noch einmal sagte er die Worte, die er sich verboten hatte. »Ja, Laura, ich liebe dich.«
    »Ach Dada. Harry. Großer Zauberer.« Mit einem Lächeln nahm sie sein Gesicht zwischen ihre Hände und zog ihn zu sich, so nah, dass es näher nicht mehr ging. »Ich glaube«, flüsterte sie, »diesen Augenblick, den haben wir dem Himmel gestohlen.«
    16
    »Zweihundert Franc, nicht wahr?«, fragte Florence. »Soll ich jetzt gleich bezahlen, oder möchten Sie lieber nachhe r …?«
    »Wenn’s dir nichts ausmacht, Kindchen, jetzt gleich«, sagte Madame Clotilde. »Man kann ja nie wissen.«
    »Ja, natürlich. Ich habe das Geld dabei. Hier.« Florence griff in ihre Manteltasche und reichte ihr das vorbereitete Bündel Scheine. »Drei Fünfziger und fünf Zehner.«
    Madame Clotilde nahm das Geld und zählte nach. Sie sah aus wie eine bretonische Bäuerin: groß und stämmig und vor Gesundheit strotzend. »Mach dich schon mal unten frei«, sagte sie, ohne von den Scheinen aufzuschauen. »Wir fangen gleich an.«
    Während Florence den Mantel ablegte, blickte sie sich um, ob es irgendwo einen Paravent gab, hinter dem sie sich ausziehen konnte, aber es war keiner da. Zum Glück trug sie einen langen, weiten Faltenrock. Als sie sich bückte, um ihre Strümpfe und den Slip darunter abzustreifen, bekam sie plötzlich Ohrensausen. Das kam wahrscheinlich von dem Chinin. Madame Clotilde hatte ihr am Telefon gesagt, sie solle vorher eine große Dosis von dem Fiebermittel schlucken, jede Stunde zwei Tabletten, mindestens fünf Mal, das würde die Prozedur beschleunigen.
    Ob daher auch die Übelkeit kam? Oder kam die von der Angst?
    In der kleinen Souterrainwohnung hing ein ekelhafter Fischgeruch. Bei der Vorstellung, dass Madame Clotilde hier heute Mittag einen Fisch ausgenommen hatte, mit denselben Händen, mit denen sie gleich in ihr herumwühlen würde, drehte sich Florence der Magen um. Angeblich war Madame Clotilde früher Hebamme gewesen. Obwohl alle nur ihren Vornamen kannten, kursierte im Café Flore seit Jahren ihre Adresse. Florence war nicht die erste Künstler-Muse, die abtreiben musste.
    »Hab keine Angst, Kindchen«, sagte Madame Clotilde, »glaub nicht an die Schauermärchen, die man sich erzählt. Bei mir ist noch keine auf dem Stuhl geblieben. Manche sind am selben Abend tanzen gegangen.«
    Sie klemmte das Geld unter einen Blumentopf und forderte Florence auf, sich auf ein gepolstertes, mit Plastik bezogenes Gestell in der Mitte der Wohnküche zu legen. Als Florence ihren Platz eingenommen hatte, blickte sie auf einen viereckigen erhöhten Tisch. Darauf stand eine Schüssel mit Wasser, und daneben, auf einer geblümten Decke,

Weitere Kostenlose Bücher