Himmelsfelsen
Frage kommen könnte.«
Sander blickte ihn ungläubig an. Der Kriminalist
bemerkte dies und fuhr fort: »Ja, Sie haben richtig gehört. Die Spurensicherung
hat oben auf dem Felsen, ein bisschen abseits des Plateaus, einen Holzstecken gefunden,
der vom Durchmesser her zu dem Hämatom passt, das der Tote am Bauch aufweist.«
»Also mit dem Stecken gestoßen?«, hakte Sander
nach.
»Genauso sieht es aus.«
»Und wieso von vorne? Ich meine, normalerweise
schleicht sich so ein Täter doch an und schubst sein Opfer von hinten runter.«
»Richtig«, sagte Häberle und lächelte wieder,
»nur hat Ihre Theorie einen Schönheitsfehler: Auf dem Felsen kann man sich nicht
so ohne weiteres anschleichen. Das Plateau ist eben. Und der Felsen, das wissen
Sie, fällt an drei Seiten nahezu senkrecht ab, kaum eine Möglichkeit also, sich
in der Nähe zu verstecken. Dem Täter blieb nur eine einzige Stelle, an dem er seinem
Opfer auflauern konnte, an jenem Absatz an der Rückseite des Plateaus, wo die bewaldete
Böschung anfängt.«
»Und dann?« Sander wurde ungeduldig.
»Von dort musste er möglichst schnell und möglichst
lautlos aufs Plateau hochsteigen. Es ist aber davon auszugehen, dass Fronbauer dies
gehört hat. Stellen Sie sich vor, er stand ziemlich weit vorne, hat eine Verschnaufpause
eingelegt und auf Eybach hinabgeschaut. Von dort dringt natürlich ein gewisser Verkehrslärm
herauf, und auch die Vögel zwitschern um diese Jahreszeit ja ganz schön«, erläuterte
der Kriminalist weiter die Situation, wie sie sich seiner Meinung nach abgespielt
haben musste, »stellen Sie sich also vor, der Fronbauer hört plötzlich hinter sich
ein Geräusch, Tritte im Laub oder so. Er dreht sich um, vielleicht erst mal langsam,
denn er vermutet ja keinen Angriff. In diesem Augenblick springt der Täter hervor
und stößt ihm den Holzstecken mit aller Wucht gegen den Bauch. Das Hämatom ist links
des Bauchnabels, also hat sich Fronbauer nach links umgedreht und stand offensichtlich
halb gedreht am Abgrund, als ihn das Stück Holz traf und in die Tiefe gestoßen hat.«
Sander hatte versucht, Häberles Darstellung
möglichst wortwörtlich mitzuschreiben.
»Das klingt ziemlich abenteuerlich«, meinte
er nun ernst.
»Aber nur so kann es gewesen sein«, bekräftigte
Häberle und setzte wieder jenen positiven Gesichtsausdruck auf, den Sander an ihm
so sehr schätzte.
»Und haben Sie schon einen Verdacht?«, fragte
der Journalist.
»Sie stellen Fragen!«,lachte Häberle, »wenn
ich das wüsste, hätten wir doch keine Sonderkommission zusammengerufen. Was glauben
Sie, was jetzt hier abgeht! Sie wissen doch, wer der Tote ist.«
»Ja, klar, der Bruder ist Stadtrat …«
»… und hat überall die Finger drin, wo man
was verdienen kann und wo es was zum Absahnen gibt«, ergänzte Häberle, »und wir
stehen erst am Anfang, guter Herr Sander, deshalb brauchen wir ja auch Ihre Hilfe.«
Häberle wandte sich einigen Notizen zu und sagte dann: »Wir sollten wissen, wem
heute Morgen im Raum Stötten, also da oben auf der Alb, irgendwas Verdächtiges aufgefallen
ist. Das können Fahrzeuge sein, Personen oder überhaupt jegliche Art von Ungereimtheiten.
Vielleicht war schon ein Bauer draußen, oder es gibt noch andere Jogger, möglicherweise
einen Jäger. Egal was und egal wer, diese Leute sollen sich melden. Für uns ist
auch die kleinste Kleinigkeit von Interesse und mag sie noch so unwichtig erscheinen.”
Sander spürte, wie sehr sich Häberle an diesen Aufruf klammerte.
»Ist es nicht ungewöhnlich, jemanden auf diese
Art und Weise umzubringen?«, fragte der Journalist abschließend.
»Was heißt ungewöhnlich, Herr Sander, ich bitt’
Sie, was glauben Sie, was ich schon alles erlebt habe. Und jeder einzelne Täter
war davon überzeugt, die genialste Methode entwickelt zu haben.«
Sander sagte nichts. Auch er hatte schon über
viele Fälle geschrieben, die sich so unwahrscheinlich angehört haben, dass kein
Verleger sie jemals als Kriminalroman gedruckt hätte. »Und das Stück Holz, das Sie
gefunden haben … kann man das fotografieren?«, fragte er schließlich weiter, denn
eigentlich hatte er gar keine Zeit, sich über Nebensächlichkeiten zu unterhalten.
»Den Stecken«, griff Häberle die Bitte des
Journalisten auf, »nein, der ist inzwischen schon auf dem Weg ins Landeskriminalamt.
Denn wenn das tatsächlich die Tatwaffe sein sollte, werden es unsere Experten nachweisen.«
»Sie meinen, da gibt’s verwertbare Spuren?«
»Wenn’s
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