Himmelsfelsen
ist bereits weit gediehen. Der Investor, der dahinter
steht, ist im Besitz aller dafür notwendigen Grundstücke. Es ist uns gelungen, einen
ihrer Vertreter herzubitten. Wir erwarten ihn in einer Stunde. Bis dahin wird uns
Herr Specht die ganze Problematik erläutern.« Schönmann blickte in die Runde. Er
sah, dass von jeder Fraktion einige Mitglieder fehlten. Auch der Platz des parteilosen
Daniel Fronbauer war leer.
Unterdessen hatte Stadtbaumeister Specht die
erste Folie aufgelegt, mit der das besagte Karree der Langen Gasse dargestellt wurde.
»Meine Damen und Herren«, begann er, »Sie wissen,
worum es geht. In aller Stille hat eine Gesellschaft aus München, sie nennt sich
›Sunrise‹, einen Großteil unseres Sanierungsgebiets aufgekauft. Das Unternehmen,
das bisher bei uns nie zuvor in Erscheinung getreten ist, hat offenbar in Nacht-
und Nebel-Aktionen all diese Bruchbuden erworben.« Specht fuhr mit einem Kugelschreiber
die Grundstücksgrenzen ab. »Der Herr Oberbürgermeister hat bereits gestern Ihren
Fraktionsvorsitzenden dargelegt, dass dies unseren Bemühungen nach einer kleingliedrigen
Sanierung widerspricht. Unsere rechtlichen Möglichkeiten, uns dagegen zu wehren,
sind allerdings gering.« Er verwies auf den fehlenden Bebauungsplan, mit dem allein
Beschränkungen möglich gewesen wären.
Der Stadtbaumeister legte eine neue Folie auf,
die eine Computer-Simulation neuer Gebäude zeigte. »Und so stellen sich die Herrschaften
von ›Sunrise‹ unsere Lange Gasse künftig vor.« Ein Raunen ging durch die Runde.
Die Stadträte sahen mehrere aneinandergereihte dreistöckige Gebäude, die äußerlich
keinerlei gestalterisches Element aufwiesen. »Sie sehen«, fuhr Specht fort, »man
hat zwar versucht, die bestehende Gebäudezeile nachzuempfinden, ohne aber historische
Altstadt-Elemente aufzugreifen.«
Eine weitere Folie zeigte einen seitlichen
Bereich des Karrees, an dem eine Querstraße vorbeiführte. Von dieser Stelle aus
war offenbar die Einfahrt in eine Tiefgarage geplant. »Das ist der Blickwinkel von
der Schubartstraße her«, erläuterte Specht, »Sie sehen, da ist die Abfahrt zu einer
Tiefgarage konzipiert. Die nämlich ist notwendig, um die geplante Nutzung des Areals
überhaupt zu ermöglichen. Die konzipierten Gebäude stellen sich nur nach außen hin
als separate Einheiten dar. In Wirklichkeit sind sie alle miteinander verbunden,
um durchgehende Räumlichkeiten zu schaffen.« Die Stadträte hörten aufmerksam zu,
während Specht nun einen Gesamtgrundriss zeigte. »Hier wird deutlich, was ich meine:
Alle Gebäude sind miteinander verbunden«, wiederholte er, »damit entstehen riesige
Räume, und zwar auf allen Etagen. Der Investor will darin nämlich einen großen Tanzpalast
einrichten, wenn ich das mal so sagen darf. Diskotheken in mehreren Varianten, Erlebnis-Gastronomie
und vieles mehr.« Wieder ging ein Raunen durch den Saal. Specht fuhr fort: »Ich
muss gleich hinzufügen, dass nach dieser vorläufigen Konzeption alle baurechtlichen
Bestimmungen eingehalten sind. Es ist an enorme Schallschutzmaßnahmen gedacht und
natürlich an genügend Parkplätze. Die Tiefgarage wird zweigeschossig unter dem gesamten
Projekt konzipiert.«
Specht ging noch auf weitere Details ein, machte
jedoch deutlich, dass das Vorhaben seiner Meinung nach nicht zu den bisher verfolgten
Sanierungszielen passe.
In mehreren Wortmeldungen kam zum Ausdruck, dass die Stadträte dem
Vorhaben ablehnend gegenüber standen. Der Fraktions-Chef der Bürgerlichen, Reinhold
Bund, fügte hinzu: »Für mich stellt sich die Frage, ob noch weitere Gebäude-Eigentümer
an Baugesellschaften verkaufen könnten. Wie man so hört, stehen zwei nordöstlich
davon gelegene größere Gebäude auch seit Langem leer. Bekanntlich ist die Eigentümerin
eine alte Dame. Hat die Verwaltung inzwischen rausgekriegt, wem die Gebäude einmal
zufallen, wenn diese sterben sollte?«
Der Oberbürgermeister und der Stadtbaumeister
schauten sich unschlüssig an. Dann rang sich Schönmann zu einer Erklärung durch:
»Das haben wir getan. Wie wir bereits gestern sagten, gehören die beiden angrenzenden
Gebäude einer gewissen Frau Neugebauer, 96 Jahre alt und seit geraumer Zeit im Pflegeheim
untergebracht.« Schönmann machte eine kurze Pause und sagte dann: »Diese Frau ist
gestern verstorben.«
Wieder ging ein Raunen durch den Saal.
»Sie war extrem pflegebedürftig«, fuhr Schönmann
fort, »ihr Tod kam keinesfalls unerwartet.«
Betretenes Schweigen,
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