Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
stiegen ein, doch Marlon startete den Motor nicht, sondern sah mich abwartend an. Er wollte hören, was ich zu sagen hatte, und das gefiel mir. Er nahm mich ernst, achtete auf meinen Rat. In seiner Gegenwart fühlte ich mich erwachsen. Mehr Frau als Mädchen.
    Â»Nehmen wir mal an, sie wäre wirklich eine Harpyie«, sagte ich, woraufhin er, zum Zeichen, dass er etwas einwenden wollte, die Hand hob, statt mich zu unterbrechen.
    Â»Wir brauchen nicht darüber zu spekulieren, ob sie eine Harpyie ist. Es steht fest. Ausgeschlossen, dass ein Mensch einen Stein auf zwei Ebenen besingt.«
    Ich glaubte ihm, da ich selbst nichts davon verstand. »Gut. Aber wenn sie sich nicht freiwillig verwandelte und euch gegenüber nun Hass empfindet? Ihr Sohn gehört zu den Huntsmen, und das, obwohl seine eigene Mutter zu denen zählt, die er jagt. Was, wenn du nun dieses ominöse Tor aufsuchst und sie dir nicht wohlgesonnen ist?«
    Marlon sah mit unergründlichem Blick durch die Windschutzscheibe nach draußen und löste die Handbremse. »Sie hat durchaus recht«, murmelte er. »Es kann gewaltiger Hass heranwachsen, wenn man völlig alleingelassen wird.«
    Darauf konnte ich nichts erwidern. Ich wünschte mir so sehr, dass er mit mir darüber sprach, wie er damals verlassen wurde. Vergessen. Wie alt er zu diesem Zeitpunkt wohl gewesen war? Doch hier auf dem Parkplatz schien nicht der richtige Ort für solche Gespräche, daher legte ich nur still meine Hand über seine, die immer noch die Handbremse umklammerte, als müsste er sich daran festhalten.
    Eine Weile blieb Marlon reglos sitzen. Er blinzelte nicht einmal. Dann lächelte er mich an, sagte kaum hörbar: »Schon gut«, und nach einer weiteren Pause: »Danke.« Er drehte den Schlüssel um, fuhr los und wir schwiegen eine Viertelstunde lang, bis er irgendwo am Stadtrand, wo ich noch nie gewesen war, rechts ranfuhr.
    Â»Von hier aus müssen wir laufen, aber das Tor ist ganz in der Nähe.«
    Ich war, gelinde gesagt, irritiert, dass er direkt hierhergefahren war, ohne mich zu fragen, ob ich überhaupt mitkommen wollte. Allerdings hätte ich in diesem Fall darauf bestanden und so ließ ich mir meine Überraschung nicht anmerken.
    Wir gingen zügig, denn im Schatten des in einem Tal versunkenen Waldes war es kühler als in der Stadt. Ich fröstelte in meinem dünnen T-Shirt und verkniff mir die Frage, wie weit es war. Wir stapften durch eine knöchelhohe Schicht aus feuchtem Laub, das unter unseren Füßen raschelte und den Anschein erweckte, als sei längst Herbst. In einem Baum hämmerte ein Specht. Er starrte auf uns herab, Marlon blickte zurück und der Vogel schoss wie ein Dartpfeil davon. Sein Schrei durchbrach die Geräusche der Natur – Vogelzwitschern, Geraschel hier, Geknirsche da –, dann wurde es plötzlich still. Zu still. Marlon schien das nicht zu bemerken, er führte mich immer tiefer in den Wald. Der Weg verengte sich und schlängelte sich durch Senken und im Zickzack steile Böschungen hinauf. Die teils noch nasse Erde war glitschig, ich war froh, als Marlon mir seine Hand anbot, und das nicht nur, weil sie sich warm anfühlte.
    Â»Wie kommt es, dass du dich hier so gut auskennst?«, wollte ich von ihm wissen. Ich hatte mein ganzes Leben in dieser Stadt verbracht, aber hierher war ich noch nie gekommen. Und Marlon stammte nicht einmal aus dieser Gegend.
    Â»Ich habe mich nach auffälligen Steinen und Statuen umgehört«, erklärte er und hielt ein paar Zweige zur Seite, um mir den Weg freizumachen. »Da erzählte man mir von diesem Torbogen und ich sah ihn mir gleich an. Damals erfolglos, aber möglicherweise finden wir heute mehr. Was bedeutet, dass in den letzten beiden Wochen eine Harpyie hier gewesen sein muss. Und wo eine ist«, er sah mich bedeutungsschwer an, »da sind weitere selten fern.«
    Â»Du erwartest dir von dieser Frau, dass sie weiß, wo ihr in der Lammas-Nacht hingehen müsst, oder?«
    Er nickte knapp, mehr als etwas vage Hoffnung war in der Geste nicht zu erkennen. »Es ist wegen Corbin. Wenn er die Verwandlung dieses Jahr nicht schafft, hat er keine Chance mehr.«
    Â»Eins verstehe ich nicht. Hoppla!« Mein Fuß rutschte weg und ich fiel nur deshalb nicht auf den Hosenboden, weil ich mich an Marlon festklammerte, der mich hielt, als wöge ich rein gar nichts. »Danke.« Ich blieb

Weitere Kostenlose Bücher