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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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bedeuten?«
    Erneutes Achselzucken. Ich knuffte ihn gegen die Brust. »Nun sag endlich. Du weißt mehr als ich.«
    Â»Ich glaube«, begann Marlon und ich spürte seinen Kampf mit den Worten, »dass es die Botschaft einer Mutter an ihren Sohn ist. Das Lied muss so etwas wie eine Erkennungsmelodie sein. Hast du auf den Text geachtet?«
    Klar, der war wirklich etwas abgefahren, denn wer sang schon Schlaflieder in Steine? »Twinkle, twinkle, little star. Es klang zumindest so.«
    Marlons Blicke tasteten die Umgebung ab. »So ähnlich«, antwortete er mit verhaltener Stimme. »Die Melodie stimmt, aber der Text wurde verändert: Blinker, Blinker, dann und wann, zeigst du uns die Richtung an.«
    Ich zog die Stirn kraus. Diese Version klang reichlich albern, selbst für ein Kinderlied.
    Â»Aber dahinter liegt noch etwas«, fuhr Marlon fort und legte seinen Arm um meine Taille, um noch näher neben mir gehen und noch leiser sprechen zu können. Das war mir nur recht. »Kein Gesang, sondern eine Anweisung. Sie ist schwer zu verstehen und muss noch schwerer in den Stein einzusingen gewesen sein. Eindeutig eine Botschaft, die nicht jeder hören soll.«
    Â»Und du kannst sie hören.«
    Â»Ja. Aber sie ist nicht für mich bestimmt.«
    Â»Sondern? Herrgott, lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen! Wie lautete die Botschaft?«
    Marlon räusperte sich. »So viele Jahre wuchs Hass. So viele Jahre nährte dich Einsamkeit an meiner Statt. Aber ich erinnere mich an dich. Tritt durch das Tor und finde zu deinen Wurzeln. Tritt durch das Tor und finde deinen Frieden. Tritt durch das Tor und finde mich.«
    Ich schauderte. Es klang unheimlich, aber anfangen konnte ich damit nichts. »Das scheint kein Hinweis darauf zu sein, wohin ihr gehen sollt.«
    Â»Nein, sieht auf den ersten Blick nicht danach aus. Aber ich ahne, welches Tor die Frau meint. Ein Tor aus Stein. Und«, Marlon zögerte, »ich glaube zu wissen, an wen die Worte gerichtet sind. An Olivier, Stephan Olivier.«
    Ich sog laut und langsam die Luft ein.
    Marlon beantwortete meine unausgesprochene Frage: »Ich habe Gerüchte über ihn gehört. Du weißt schon: Respektiere die Privatsphäre deines Freundes, aber nie die deines Feindes. Alte Harpyien-Weisheit. Es heißt, dass er als Kleinkind von seinem Vater in die Hände der HuntsmenFederation gegeben wurde, nachdem Harpyien seine Mutter ermordeten. Fakt ist, dass die Frau verschwand und irgendwann für tot erklärt wurde, aber eine Leiche wurde nie gefunden. Möglicherweise ist sie–«
    Â»Nicht fort, sondern nur woanders«, unterbrach ich ihn.
    Â»Einiges in dieser Geschichte spricht dafür, dass sie sich ihnen angeschlossen hat, und das wiederum bedeutet, dass die Frau selbst eine Harpyie sein muss. Ich glaube auch nicht, dass wir zufällig über diesen Stein gestolpert sind. Ich war bereits einige Male auf diesem Friedhof und habe nie einen singenden Stein wahrgenommen. Er wurde erst kürzlich besungen. Das heißt, die Frau weiß, dass Olivier häufiger hier ist. Sie versucht, ihn zu erreichen. Ich verstehe allerdings nicht, warum sie dann nicht direkt zu ihm geht.«
    Â»Moment mal.« Ich hatte meine liebe Not, das alles zu verstehen, und musste es zusammenfassen. »Du sagtest, die Botschaft läge hinter dem Lied, sodass sie nicht von jedem, der an die singenden Steine glaubt, gehört werden kann.«
    Â»Nur von Menschen oder Harpyien mit besonderem Talent«, bestätigte Marlon.
    Â»Dann hofft sie nicht nur darauf, dass ihr Sohn das Lied im Stein überhaupt hört, sondern auch …«
    Â»Dass er talentiert genug ist, die Botschaft dahinter zu verstehen. Ja. Du hast recht, das ist eigenartig. Entweder steckt da etwas anderes dahinter« – eine Falle, war mein erster Gedanke, aber den behielt ich vorerst für mich – »oder sie hat wirklich verdammt wenig Vertrauen in die deutsche Post.«
    Ich zog angesichts seines flachen Witzes die Mundwinkel hoch.
    Â»Der Grund, warum ich dem nachgehen werde, ist allerdings ein anderer«, fuhr Marlon fort. Wir verließen den Friedhof durch das von Efeu überwucherte Haupttor und er entspannte sich zusehends. »Ich ahne, von welchem Tor sie spricht, also werde ich da hingehen.«
    Â»Mir gefällt das nicht«, murmelte ich.
    Marlon drückte auf den Autoschlüssel und der Audi blinkte uns zu. Wir

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