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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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war ich mir nicht sicher. Aber … »Nicht böse.«
    Â»Du sahst aus, als wärst du es. Ich sollte mehr mit dir reden, statt alles in mich hineinzufressen.« Er zog mich am Bund meines T-Shirts zu sich, wobei seine Finger die nackte Haut meiner Taille streiften.
    Ich murmelte zustimmend, suchte mit meinen Lippen die seinen und fand, dass er mich lieber küssen sollte, statt zu reden, weil das viel einfacher war und weniger Potenzial für Missverständnisse bot.
    Er küsste meine Stirn und ich vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Daraufhin ließ er den Kopf in den Nacken sinken. Ich spürte ihn lautlos lachen, dann schüttelte er den Kopf und legte die Wange gegen meinen Scheitel.
    Â»Du wärst mir besser böse, Magpie, denn ich nutze dich nur aus. Alles, was ich will, ist, dir wehzutun. Ich will dir so wichtig sein wie du mir, sodass es grausam ist, dich dann zu verlassen. Das sollte dir, verdammt noch mal, weniger gefallen.«
    Ich schmeckte tausend Zärtlichkeiten, die mir auf der Zunge lagen. Dinge wie: Manche Gefühle sind schön genug, um hinzunehmen, dass sie Schmerzen bereiten. Süße Floskeln, wie sie auf diesen Karten stehen, auf denen pfeildurchbohrte Herzen abgebildet sind oder Rosen mit Dornen, von denen ein Tropfen Blut rinnt. Doch so etwas auszusprechen, war nicht meine Art (gegen Gedanken kann man sich leider weniger wehren). Ich knuffte ihn in die Seite und flüsterte: »Selbstmitleid und Melancholie sind seit hundert Jahren out. Mach dir keine Sorgen. Ich weiß, worauf ich mich einlasse.«
    Er schob mich ein Stück von sich. »Und genau deshalb«, ließ er feierlich verlauten, »damit du es weißt, habe ich dir die Wahrheit erzählt. Los, komm, lass uns weitergehen.« Damit wandte er sich ab, als sei alles gesagt.
    Bis ich geblinzelt und den Inhalt dieser Aussage registriert hatte, war er bereits ein paar Schritte den Berg hinaufgestapft. Ich musste mich beeilen, um wieder zu ihm aufzuschließen.
    Als wir den Bergkamm erreichten, sah ich in der Böschung den Stein, von dem Marlon gesprochen hatte. Es musste der richtige Stein sein, denn er hatte die Form eines Bogens und war mannshoch, sodass er wie ein Tor wirkte, das von seinen Mauern vergessen im Wald stand. Die Jahre hatten auf den Stein eingewirkt, im unteren Bereich war er von Pilzen und Flechten bewachsen und weiter oben hatten ihn Wind und Wetter fast glatt poliert. Irgendein Idiot besonderen Ausmaßes hatte ein Hakenkreuz daraufgesprüht. Das Tor neigte sich in Richtung des Hanges, als würde es jeden Moment umstürzen.
    Marlon rannte auf den Stein zu, ich hatte Mühe, hinter ihm herzulaufen, ohne dabei auszurutschen und ihm auf dem Hintern zu folgen. Ich hörte das Klatschen, das seine Hände verursachten, als er sich an der Seite des Bogens abfing, und fürchtete, das ganze Ding würde umfallen und mit Marlon zusammen die Böschung herunterstürzen. Doch der Stein stand unbeweglich.
    Marlon lachte nervös auf. »Volltreffer!« Er schloss die Augen, lehnte die Stirn und beide Handflächen gegen den Stein und schien im gleichen Moment der Welt entrückt.
    Ich fühlte mich ein wenig unbehaglich, fast einsam, als hätte er mich unvorbereitet allein im Wald zurückgelassen. Von Ausflügen in brachliegende Gärten einmal abgesehen, war ich ein Stadtkind und dementsprechend mulmig war mir zumute. Obwohl es helllichter Tag war, erreichte kein Sonnenstrahl die Erde. Der Wind flüsterte hier nicht in den Baumkronen, er säuselte und zischte. Vipernhaft. Irgendwo in der Ferne hörte ich Äste knacken, als trampelte ein Tier durchs Unterholz. Ein verdammt großes Tier. Ich rückte etwas näher an Marlon heran, raschelte dabei mit dem Laub unter meinen Füßen, worauf er leise »Scht« machte, um dem Stein besser lauschen zu können. Ich selbst vernahm aus diesem nur ein kaum wahrnehmbares Summen, ähnlich einem alten Fernseher auf Stand-by.
    Â»Hörst du etwas?«
    Â»Still!«, gab er ungeduldig zurück.
    Ich atmete tief, aber ganz leise durch und rieb meine Oberarme, auf denen sich eine Gänsehaut ausgebreitet hatte. Ich hörte allerhand. Knistern, Rauschen, Knacken und Krachen.
    Marlon verzog frustriert das Gesicht, presste sich dann noch enger an den Fels, als wollte er hineinkriechen. Wer immer da gesungen hatte, er hätte es ruhig ein wenig lauter tun können. Meno piano, hieß es,

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