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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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suchte nach einer Scherbe. »Dreh dich um, ich versuche es noch mal.«
    Â»Und dann?«
    Ich schnaubte trotzig. Und dann? Was sollte die dumme Frage? Es gab weder ein Und noch ein Dann, denn wir konnten nichts tun. Die Tür war verschlossen. Wie das Schwingtor war sie aus Metall und würde sich ohne Werkzeug – das uns bedauerlicherweise fehlte – nicht öffnen lassen. Nicht zu vergessen, dass vor dem Haus jemand Wache hielt, der im Gegensatz zu uns bewaffnet war. Herrgott, der Mist stand uns bis zur Unterlippe! Nichtsdestotrotz musste ich irgendetwas tun. Marlons Hände vor dem Absterben zu retten war schon mal ein Anfang.
    Ich fand eine Glasscherbe, die über eine scharfe Spitze verfügte, sich aber gleichzeitig durch eine abgerundete Seite gut greifen ließ. Es war eine mühsame Arbeit. Ich musste vorsichtig sein, um Marlon nicht zu verletzen, gleichzeitig aber mit Kraft vorgehen, denn so ein Kabelbinder ist wirklich verdammt zäh. Natürlich patzte ich, rutschte ab und fügte Marlon einen tiefen Kratzer zu. Er gab keinen Laut von sich, zuckte nicht einmal zusammen. Ich war mir nicht sicher, ob er es überhaupt gespürt hatte, und arbeitete weiter, ohne ihn um Verzeihung zu bitten.
    Als die Plastikschlinge endlich nachgab, fielen Marlons Hände schlaff zu seinen Seiten herab. Ich seufzte erleichtert und bekümmert zugleich, denn mit dem Durchtrennen der Fessel hatte ich alles getan, was ich tun konnte. Nun schlug die Hilflosigkeit erneut wie eine Faust auf mich ein. Erschöpft sank ich gegen die Mauer. In den nassen Sachen begann ich allmählich erbärmlich zu frieren. Vielleicht fror ich auch schon die ganze Zeit, aber zuvor hatte ich es nicht bemerkt. Meine Armbeuge juckte vor Ekel, als hätten sich Maden darin eingenistet. Ich kratzte mir die Haut blutig, während Marlon seine Gelenke rieb und die Schultern dehnte. Schließlich zog er sein T-Shirt aus und reichte es mir. Ich wechselte es gegen mein nasses und breitete dieses zum Trocknen auf dem Boden aus.
    Zusammen untersuchten wir noch einmal das Tor auf eine Möglichkeit hin zu entkommen. Marlon rüttelte, fühlte, schaute in jede Ritze und begutachtete das Schloss. Nichts. Schließlich trat er mit Anlauf so hart dagegen, dass mir der Donnerhall schier das Gehör aus dem Kopf blies. Fehlanzeige. Mal was ganz Neues. Der Tritt hatte Marlon nicht gutgetan, er sank weiß wie ein Blatt Papier zu Boden, krümmte sich und hielt sich die Rippen.
    Ihm nicht helfen zu können machte mich rasend. Meine Hilflosigkeit ließ mich vergessen, dass ich selbst ebenso eingesperrt war; sie ließ mich die Ohrfeigen vergessen, obwohl meine Wangen heiß waren, und sie ließ mich jegliche Angst vergessen. Ich tigerte in der Garage auf und ab, ganz auf meine gleißende Wut konzentriert, die alle anderen Gefühle wie Säure auflöste. Als ich mich schließlich wieder zu Marlon setzte, hatte ich mich nicht beruhigt, sondern lediglich mit Zorn betäubt. Die Erschöpfung umfing mich, kaum dass ich den Rücken an die Wand und den Kopf an Marlons Schulter lehnte. Meine Augen fühlten sich wund an, es war eine solche Erleichterung, sie zu schließen. Nur einen Moment, ich wollte gar nicht schlafen, nur für ein paar Sekunden die Augen zumachen.
    Â»Kleine Kämpferin«, murmelte Marlon. »Nichts und niemand kriegt dich klein. Du kommst hier raus, ich verspreche es dir.« Es klang, als spräche er durch dicke Watte. Ein flüsterndes Kribbeln verriet mir, dass er über meine Fingerknöchel strich, und ich bemerkte, dass ich immer noch die messerartige Scherbe in der Faust hielt. Bewaffnet. Und beschützt. So gut es eben ging. Mit diesen Gedanken schlief ich ein.
    Â»Noa. Noa, wach auf.«
    Worte berührten mein Ohr. Ich blinzelte gegen zu helles Licht an, während grelle Schmerzen durch meinen Rücken jagten, als wäre ich verprügelt worden. Ich saß zusammengekauert an die Wand sowie gegen Marlon gelehnt und wunderte mich, wie ich in dieser Position hatte schlafen können.
    Â»Sie kommen«, flüsterte Marlon. »Ich höre ihre Schritte. Zwei Personen. Wenn sich eine Gelegenheit bietet, dann versuchen wir es.«
    Â»Bist du sicher?« Ich war es nicht. Meine eigentliche Frage war allerdings eine andere. Was zum Geier wollte er versuchen?
    Als er die Hände hinter den Rücken nahm, um vorzugeben, noch immer gefesselt zu sein, sah ich etwas

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