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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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meine Arme um die Oberschenkel formten, war ganz leicht. Nun waren meine Hände zwar immer noch zusammengebunden und durch die engen Fesseln wurden meine Finger bereits blau, aber ich machte mich sofort daran, die Plastikschlinge mit den Zähnen zu bearbeiten. Das war schwieriger, als ich gedacht hatte, und dauerte länger, als meine Nerven durchhielten.
    Marlon kam zu sich und stöhnte leise. Ich zog seinen Kopf in meinen Schoß, was ihm ein schmerzerfülltes Keuchen entlockte.
    Â»Tut mir so leid, Marlon. Halte durch.« Ich biss und zerrte weiter an der harmlos anmutenden Kunststoffschlinge. Wie konnte dieses beschissene Plastik nur so zäh sein? Als ich es endlich geschafft hatte, liefen mir Schweiß und Tränen übers Gesicht. Tiefe Schnitte hatten sich in die Haut an meinen Gelenken gegraben und das Blut, das nun zurück in meine Hände floss, verursachte höllische Schmerzen. Ich hatte das Gefühl, alle meine Zähne seien locker – zwischen ihnen hingen Kunststofffasern. Doch ich konnte die Finger bewegen, ich konnte Marlon das Haar aus der Stirn streichen und ich konnte die Fäuste ballen vor Wut auf diese verdammten Jäger.
    Das Erste, was Marlon sagte, war: »Nein, mir muss es leidtun. Ich habe dich in all das reingezogen.« Er brauchte länger als eine Minute für diese beiden Sätze.
    Â»Ich fürchte, ich gehöre hierher. Zu dir.«
    Er schloss erneut die Augen und ich bekam ihn ein paar Minuten nicht wach. Schließlich fragte er: »Was ist passiert?«
    Es dauerte qualvoll lange, bis Marlon wieder bei vollem Bewusstsein war. Er wusste nur noch, dass wir uns ergeben hatten und sie dann mit Betäubungspfeilen auf uns geschossen hatten. Nicht dass das nicht schon schlimm genug war. Ich war siebzehn Jahre alt, hatte niemandem je etwas Böses gewollt und konnte am Nachgeschmack, den ich im Mund hatte, eine Betäubung mit Chloroform von einer mittels Giftpfeilen unterscheiden. Das war doch nicht richtig! Doch so, wie Marlon aussah, konnte das noch nicht alles gewesen sein. Die hatten ihn übel zugerichtet. Seine Lippen waren blutverkrustet und so trocken, dass er kaum sprechen konnte. Die Huntsmen hatten uns nicht einmal Wasser dagelassen. Jede Bewegung tat Marlon weh. Vorsichtig tastete ich über seine Rippen, aber mehr als Schwellungen konnte ich nicht diagnostizieren. Herrgott, ich war doch keine Krankenschwester. Mein Arm juckte. Mit einem Zipfel meines Rockes tupfte ich Marlon das Blut von der Lippe und erzählte ihm von dem Gespräch zwischen Olivier und dem Mann, den er General nannte. Doch eine Sache ließ ich unerwähnt: den Toten.
    Â»Hilft uns das weiter?«, fragte ich abschließend.
    Marlon zeigte ein bemühtes Grinsen. »Offenbar schon, sonst hätten sie mich längst erschossen. Es sei denn –«
    Es sein denn, sie brauchten ihn lebend. Wozu auch immer. »Hör auf!«, unterbrach ich ihn barsch und sprang auf. »Ich will so was nicht hören.« Ich lief zur Hintertür und rüttelte daran. Verschlossen. Natürlich – was hatte ich erwartet? Auch das große Schwingtor rührte sich nicht. Ich trat dagegen. »Fuck!«
    Â»Ich hätte sie niederschießen sollen«, murmelte Marlon. »Ich hatte die beiden direkt vor dem Lauf, Magpie, aber ich konnte nicht abdrücken. Ich habe ihnen ins Gesicht gesehen und, Jäger hin oder her, ich konnte nicht, verstehst du?«
    Ich nickte. Hockte mich neben ihn. Nickte noch einmal, weil es ehrlicher wird, wenn man sich näher ist. »Ist schon gut. Du hast nichts falsch gemacht, überhaupt nichts.«
    Ich erzählte ihm nicht, dass er einen Mann erschossen hatte. Ein Leben auszulöschen, verändert das eigene. Auch wenn man im Krieg ist und der Getötete der Feind. Es hinterlässt Spuren auf der Seele. Wenn du jemanden tötest, so sagt man, stirbt ein Stückchen von dir mit. Dieser Tote sollte Marlons Gewissen nicht zusätzlich belasten, darum behielt ich das Wissen für mich. Richtig oder falsch? Es war mir scheißegal. Ich ergriff schlicht und ergreifend die Möglichkeit, ein wenig von Marlon zu beschützen.
    Â»Weißt du, was ich denke?«, fragte ich. »Sie haben keine Ahnung, dass wir ihre Pläne kennen. Sie glauben zu wissen, wo die diesjährige Verwandlung stattfinden wird. Dass der Ort inzwischen ein anderer ist, haben die Jäger nicht mitbekommen.«
    Â»Wie auch«, meinte

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