Himmelsfern
Marlon. Seine Schultern zitterten ein wenig. »Sie können nicht wissen, dass du diesen Zettel gefunden hast.«
»Ich frage mich, wie sie von unserem Treffen mit Ebony erfahren haben. Sie waren bestens vorbereitet und haben uns ganz gezielt umzingelt.«
»Entweder sind sie uns gefolgt«, überlegte Marlon, »oder jemand hat uns verraten. Das liegt nahe, schlieÃlich wussten sie auch von der Metamorphose in Mitterhafen. Vielleicht haben wir einen Verräter in unseren Reihen.«
»Wer sollte so etwas tun?«
»Ich kenne auÃer Ebony niemanden aus dem Schwarm, Noa. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Wichtiger ist erst mal, dass wir hier rauskommen.«
»Olivier sagte, er lässt das Haus bewachen.« Ich prüfte gerade Marlons Fesseln, da runzelte er die Stirn.
»Noa, was ist das da an deinem Arm?« Sein besorgter Gesichtsausdruck erschreckte mich. Ich folgte seinem Blick. In meiner Armbeuge, die die ganze Zeit schon bestialisch gejuckt hatte, prangte ein geröteter Punkt.
»Ist das eine ⦠Einstichstelle?« Ich rieb darüber, aber der Punkt verschwand nicht. »Wie von einer Spritze.« Bei dem Gedanken daran, dass die Huntsmen mir irgendetwas injiziert hatten, wurde mir gepflegt übel. Die bösartigsten Erkrankungen tanzten in meinem Kopf Squaredance. Ich schluckte heftig, um den Würgereiz zu unterdrücken.
»Vielleicht ein Betäubungsmittel«, versuchte Marlon mich zu beruhigen. »Möglicherweise wirkte das Mittel in den Pfeilen nicht lange genug.« Unweigerlich sah ich auf seine Arme. Keine Einstichstellen.
Ich spuckte auf den Punkt und verrieb den Speichel, als würde ich den gröbsten Dreck damit wegbekommen und der Ekel abflauen.
Marlon sah mich an, die Augen nass vor hilfloser Wut. Aber Panik hatte keinen Sinn, wir mussten Ruhe bewahren.
»Beug dich vor, damit ich deine Fesseln aufmachen kann«, sagte ich und versuchte, nicht mehr an Spritzen mit dubiosen Inhalten zu denken â schwieriges Unterfangen, äuÃerst schwierig, um nicht zu sagen: zum Scheitern verurteilt. Die Schlinge um Marlons Hände war deutlich fester zugezogen als meine. Ich fand mit den Zähnen keinen Ansatzpunkt und bekam sie nicht durchgebissen, ach, nicht einmal angeknabbert. Sie zog sich sogar noch weiter zu, als ich mit den Zähnen daran riss, sodass ich frustriert aufgeben musste. Ich wollte gerade einen wütenden Schrei ausstoÃen, da hörte ich Schritte. Rasch griff ich nach dem zerbissenen Kabelbinder, mit dem sie mich gefesselt hatten, versteckte ihn in meiner Rocktasche und kauerte mich neben Marlon an die Wand, die Hände hinter dem Rücken versteckt.
Die Hintertür der Garage wurde geöffnet. Wir blickten erst in den Lauf einer Waffe, dann in das ausdruckslose Gesicht von Stephan Olivier. Neben ihm stand eine Frau, ebenfalls bewaffnet. Sie bewachte die Tür, während Olivier, der mit einem langärmligen Hemd und Jeans bekleidet war und einen Rucksack trug, eintrat. Er war noch immer ein enorm gut aussehender Mann und noch immer hatte er mir in der U-Bahn das Leben gerettet. Trotzdem war er zu meinem personifizierten Albtraum geworden. Dass ich Naivchen geglaubt hatte, er sei ein Schutzengel, war im Nachhinein der Gipfel an Absurdität. Ich musste fast laut lachen, verkniff es mir aber, weil ich dann sicher die Nerven verloren und einen Heulkrampf bekommen hätte. Ich belieà es dabei, die Zähne zusammenzubeiÃen und ihn wütend anzustarren. Marlon beherrschte diese Technik besser, denn seine Wut saà tiefer und gleichzeitig lieà er sich genau das nicht anmerken. Er sah zum Himmel schreiend arrogant aus, wie er mit zerschlagenem Gesicht im Staub kauerte und zu Olivier aufsah.
Der ging einen Meter von uns entfernt in die Knie und forschte unverhohlen in Marlons Miene. »So sieht man sich wieder.«
»Ja«, meinte Marlon trocken. »Ich bin auch höchst unerfreut.«
»Du hast geglaubt, du würdest es schaffen, oder? Soll ich dir was sagen? Bis heute Morgen dachte ich das auch. Ist schon bemerkenswert, dass wir dich an deinem letzten Tag als Mensch in die Finger kriegen.«
»Lass mich eine Nacht drüber schlafen, ob ich euch gratuliere.«
Olivier stieà zischend Luft durch die Zähne aus. »Spar dir deine gute Laune besser auf, du wirst sie noch brauchen.«
»Ich kann es mir denken und daher kooperiere ich«, entgegnete Marlon kühl und mein Herz
Weitere Kostenlose Bücher