Himmelsgöttin
Siedlung. Er schaute nach, wo die Wachen waren. Als er sich aus dem Fenster lehnte, sah er drei – nein, vier – von ihnen beim Hangar. Er wartete. Er hatte noch nie versucht, seine Schwimmstrecke hinter sich zu bringen, solange es noch hell war. Im Wasser konnten sie ihn selbst von der Rollbahn aus noch sehen. Er konnte nichts tun als hoffen, daß sie in eine andere Richtung schauten.
Die Wachen rollten Fässer in den Hangar, wo der Sprit von Hand in den Lear-Jet gepumpt wurde. Zwei Mann pro Faß, macht vier in der Siedlung, Bingo. Einer mußte im Hangar stehen und sich an der Handpumpe abrackern. Und Stripe war in der Klinik. Showtime!
Tuck ging ins Bad, hob die Falltür, warf den Hosensack und sein Schwimmzeug durch die Öffnung und kletterte hinterher.
Er überlegte, ob er lieber schleichen oder rennen sollte, ob es besser war, unsichtbar zu bleiben, oder ob er auf Geschwindigkeit setzen sollte. Er entschied sich für die Taktik einer neugeborenen Schildkröte: zusehen, daß er ins Wasser kam, so schnell es eben ging. Die einzigen Leute, die ihn eventuell sehen konnten, waren Beth und der Doc, und die waren vermutlich gerade dabei, ihre Betten zusammenzurücken und die Ozzie-und-Harriet-Haut-auf-Haut-Schweiß-Patsch-Nummer abzuziehen. Oder was ihnen sonst noch für krankes Zeug in den Sinn kam. Er hoffte, es war schmerzhaft.
Er explodierte förmlich und rannte um sein Leben. Die Korallensplitter schnitten in seine Fußsohlen, und die Farne schlugen gegen seine Gelenke, aber er konzentrierte sich nur auf den Strand. Als er an der Klinik vorbeikam, glaubte er, am Rande seines Blickfelds eine Bewegung wahrzunehmen, doch er drehte sich nicht um. Er war Carl Lewis, Michael Johnson und Edwin Moses (mit dem Unterschied, daß er weiß war und langsam), und eine einzige Drehung des Kopfes konnte dazu führen, daß er aus dem Tritt kam und das Rennen verlor – und, Junge, dieser Strand scheint ein ziemliches Stück weiter weg zu sein, wenn man rennt, als wenn man sich hinschleicht. Er wäre beinahe gestolpert, als er plötzlich Sand unter den Füßen hatte, doch es gelang ihm, einigermaßen kontrolliert vorwärts zu taumeln, bis er mit dem Gesicht im zehn Zentimeter tiefen Wasser landete. Das Schildkrötenbaby hatte es bis zum Wasser geschafft, doch nun lauerten im Meer ganz neue Gefahren auf ihn, nicht zuletzt die Tatsache, daß er versuchen mußte, mit einem Paar vollgestopfter Khakihosen um den Hals zu schwimmen.
Er machte ein paar Züge, zog dann seine Flossen an und nahm die Strecke in Angriff.
Er war stinkwütend. Und zwar seit dem Moment, als er die Stimme des Piloten in der Klinik gehört hatte. Und er hatte gegen den Nebel, den die Schmerzmittel verursachten, und den Druck in seinem Kopf angekämpft, um ihn zu schnappen. Yamata beobachtete, wie der Pilot ins Wasser taumelte, bevor er versuchte, die anderen zu rufen. Von seinem Rufen kam kaum mehr als ein Grunzen aus seinem verdrahteten Kiefer, und seine zerschmetterten Nebenhöhlen verhinderten, daß allzuviel Ton durch die Nase nach draußen drang. Seine Waffe war im Quartier der Wachmannschaft, seine Kollegen waren im Hangar, und sein verhaßter Feind machte sich aus dem Staub. Er beschloß, seine Waffe zu holen. Die anderen würden den Piloten eventuell lebend schnappen wollen.
56
Flucht
Kimi versuchte den Donner heraufzubeschwören, doch er hatte absolut kein Glück. Eine halbe Stunde hatte er nun schon gesungen und seine Arme geschwungen, und trotzdem war kein einziges Wölkchen am Himmel zu sehen.
»Du hältst deine Arme nicht richtig«, sagte Sarapul. Er lag unter einer Palme, kaute Betelnuß und übte konstruktive Kritik an dem Seefahrer. Sepie lag in der Nähe und schaute zu.
»Mache ich doch«, sagte Kimi. »Ich halte sie genauso wie du.«
»Vielleicht funktioniert es nicht bei Filipinos.«
»Es liegt daran, daß ich angeschossen bin«, sagte Kimi. »Wenn ich nicht angeschossen wäre, würde ich es hinkriegen.«
Sarapul ließ seinen Blick über den Horizont schweifen. Noch nicht einmal ein Vogel. »Genau, daran liegt's. Du bist angeschossen.« Er spuckte einen roten Strahl Betelnußsaft aus. »Und du hältst deine Arme nicht richtig.«
Kimi fing wieder an zu singen und schwang seine Arme.
»Hey!« sagte Sarapul.
»Was? Hast du's donnern gehört? Ich wußte, daß ich es schaffe.«
»Nein. Sei still. Jemand ruft nach dir.«
Kimi lauschte. Es rief ihn wirklich jemand, und die Rufe kamen näher. Er humpelte den Strand entlang
Weitere Kostenlose Bücher