Himmelsgöttin
sich vorher nach dem Wetter zu erkundigen.«
Beth zuckte mit den Achseln. »Dann müssen wir eben einen neuen Piloten auftreiben. Tucker Case, darf ich vorstellen: Marie.« Sie lächelte, und in ihren Augen lag der Glanz verlöschender Sterne. Zu schade, dachte sie. Mit dem Piloten hätte es ganz schön spaßig werden können.
17
Freunde nicht nur bei Sonnenschein
Tuck war über alle Maßen erstaunt, was der menschliche Körper alles zu leisten vermochte, wenn er an seine Grenzen getrieben wurde: Traktoren hochheben, sich zweihundert Kilometer durch die Tundra schleppen, nachdem man von einem Kodiakbären halb zerfetzt worden ist, sich über Monate von Wasser und Maden ernähren, die man aus Abflußlöchern herauspult – und, in seinem speziellen Fall, zwei Stunden ohne Unterlaß zu kotzen, obwohl man sich zwei Tage lang nichts weiter zugeführt hat als Alkohol und Erdnüsse aus dem Flugzeug. Was da aus ihm herauskam, war schiere Galle, die ihm bitter und sauer zugleich im Rachen brannte, und weil das Boot schaukelte wie ein Bulle beim Rodeo, landete die Hälfte davon auf seinem Hemd. Und selbst wenn sein Magen kurzzeitig Ruhe gab, war ihm keine Erholung vergönnt, denn die Achterbahnfahrt ging weiter, und Gischt schäumte mit ungebremster Wucht. Sein Magen knotete sich zusammen.
Es hatte damit angefangen, daß die Wogen immer höher wurden – zunächst einen Meter, dann drei Meter hoch. Kimi steuerte mit dem Boot direkt darauf zu, als ob er einen Hügel hinauffahren würde. Am Wellenkamm schlug die Schaumkrone über ihnen zusammen, danach folgte eine Schlittenpartie ins Tal, wo sie sich mit der nächsten pechschwarzen Wasserwand konfrontiert sahen. Roberto kletterte unter Kimis Kleid und klammerte sich fest wie ein pelzbewachsener Tumor. Der Seefahrer stieß jedesmal einen Schrei aus, wenn die Gischt über ihn hinwegfegte und Roberto die Krallen an seinen Flügeln in seine Rippen schlug.
»Du festbinden dein Sack! Du binden deine Gürtel an Boot!« rief Kimi.
Tuck fand in seinem Rucksack eine Rolle Nylonseil und ein Taschenmesser, und er band sich und den Rucksack am Vordersitz fest. Dabei bemerkte er, daß der Zwischenraum unter dem Sitz mit festem Styropor ausgestopft war. Das Boot war also – zumindest theoretisch – unsinkbar. Prima, also würde irgend jemand ihre zerschundenen, von Haien abgenagten Leichen irgendwann einmal finden. Er warf Kimi ein Stück Seil zu, der es sich um die Hüfte band.
Als ob jemand ein Düsentriebwerk in Gang gesetzt hätte, frischte der Wind innerhalb eines Augenblicks schlagartig von zehn auf sechzig Knoten in der Stunde auf. Mit jeder Welle ergossen sich eimerweise Wassermassen in das Boot, während der Motor kaum noch zu hören war.
Kimi brüllte Tuck eine Anweisung zu, doch seine Worte wurden vom Wind verschluckt, bis auf eines: »Schöpfen!«
Als sie an einer Welle abwärts rauschten, schaute Tucker sich nach einem Behältnis um, doch das einzige, was er fand, war ein Vier-Liter-Kanister mit Trinkwasser. Er zog das Taschenmesser aus seiner Hose und trennte das obere Ende des Kanisters ab. Das frische Wasser kippte er aus und stützte sich mit den Füßen breitbeinig gegen die Bordwand und mit dem Rücken gegen den Sitz, damit er zwischen den Beinen schaufelnd Wasser schöpfen konnte. Mit jedem Mal erwischte er eine volle Gallone, die er mit dem Wind hinausschleuderte. Er rackerte sich ab, als ginge es um sein Leben, und es dauerte gerade mal eine Minute, bis er kaum noch Luft bekam und ihm alles weh zu tun begann, doch gegen den Sturm kam er nicht an. Das Boot lag nun schon tiefer im Wasser.
Er riskierte einen Blick nach hinten zu Kimi und sah den Seefahrer mit einer Kaffeekanne in der Hand eingeklemmt zwischen dem Rücksitz und dem Benzintank, wie er mit einer Hand Wasser schöpfte und mit der anderen das Steuer hielt. Sein Kopftuch war runtergerutscht und schlang sich nun um seinen Hals, während die Perücke hinter ihm im Wind zappelte. Der Motor lief auf vollen Touren, und Kimi versuchte das Boot gegen die Wellen zu steuern. Wenn auch nur eine sie von der Seite erwischte, würden sie anfangen zu rollen, und das Rollen würde nicht eher enden, als bis der Sturm sie verschlungen hatte.
Tuck verlangsamte seine Geschwindigkeit und versuchte statt dessen einen Rhythmus zu finden, den er auch durchhalten konnte. Es fing an zu regnen, doch die Tropfen schossen nahezu horizontal durch die Luft, und als sie den Kamm der nächsten Welle erreichten, bemerkte
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