Himmelsgöttin
Fehleinschätzung der Situation, ich verstehe. Und ich weiß, daß es ein wenig drakonisch erscheinen mag, aber solange Sie nicht trinken und die Siedlung nicht verlassen, ist alles in bester Ordnung.«
»Klar, Sir, kein Problem.« Über die Schulter des Doktors hinweg betrachtete Tuck den Flughund. Roberto hatte seine Flügel ausgebreitet und drehte sich in der Meeresbrise wie ein kopfstehender Wetterhahn. Tuck versuchte ihn hinter dem Rücken des Doktors wegzuscheuchen.
»Ich weiß, daß dies alles sehr einengend wirken muß, doch ich arbeite nun schon seit so langer Zeit mit den Haifischmenschen, um zu wissen, daß sie auf den Kontakt mit Fremden sehr sensibel reagieren.«
»Die Haifischmenschen? Sie sagten, daß Sie mir das erklären wollten.«
»Sie jagen Haie. Die meisten Eingeborenen auf den Inseln Mikronesiens essen keinen Hai. Um genau zu sein, ist es tabu. Aber die Fische im Riff hier weisen eine hohe Konzentration an Neurotoxinen auf, so daß die Eingeborenen sich auf Haifisch als Nahrungsquelle verlegt haben. Normalerweise würde man annehmen, daß Haifische, weil sie in der Nahrungskette weiter oben stehen, eine höhere Konzentration des Toxins aufweisen, oder nicht?«
»Müßte man annehmen«, sagte Tucker, der keinen Schimmer hatte, wovon der Doktor redete.
»Tun sie aber nicht. Es ist so, als hätten sie irgend etwas in ihrem Organismus, das das Toxin neutralisiert. Ich habe in meiner Freizeit einige Forschungen zu diesem Thema angestellt.«
»Ich hab im Kabelfernsehen jede Menge Filme über Haie gesehen. Andauernd heißt es, wie harmlos die Viecher sind, aber das ist alles Quatsch. Die Hälfte der Stiche, mit denen Sie mich wieder zusammengeflickt haben, habe ich Haien zu verdanken.«
»Vielleicht haben die kein Kabelfernsehen«, sagte der Doktor.
Voller Erstaunen wandte sich Tuck zu ihm um. »War das etwa ein Witz aus Ihrem Munde, Doc?«
Der Doktor schaute ein wenig belämmert drein. »Ich sehe mal nach, was das Essen macht. Ich bin gleich zurück.« Er wandte sich um und ging ins Haus.
Tucker hetzte zum Ende der Veranda, wo Roberto vom Dach hing. »Huschhusch, verschwinde.«
Roberto stieß ein trillerpfeifenartiges Geräusch aus und schnappte mit der Klaue seines Flügels nach Tuckers Drink.
»Okay, du kannst die Mango haben, aber dann mußt du verschwinden.« Tucker hielt ihm die Mangoscheibe hin, und der Flughund schnappte sie mit der Flügelkralle und schlang sie hinunter.
»Und jetzt verschwinde«, sagte Tucker. »Such Kimi. Huschhusch.«
Roberto verdrehte den Kopf und sagte: »Sei vorsichtig mit diesen Leuten da, Tuck, wenn du ihnen zu sehr auf den Pelz rückst, ziehen sie dir den Stecker raus, und du bist verratzt. Halt einfach nur die Augen offen.«
Mit steifen Beinen, wie ein Zombie beim Squaredance, wankte Tucker ein paar Schritte weg von Roberto. Der Flughund hatte gesprochen. Zwar nur ganz leise und mit einer hohen, rauhen Stimme, als ob Topo Gigio unter die Kettenraucher gegangen wäre, doch nichtsdestotrotz klar und eindeutig zu verstehen. »Du hast nicht gesprochen«, sagte Tucker.
»Okay«, sagte Roberto. »Danke für die Mango.«
Roberto flog davon. Bei jedem Flügelschlag hörte es sich an, als ob jemand ein Kartenspiel aus Leder mischte. Tucker ging rückwärts durch die Flügeltür und plumpste auf einen geflochtenen Thronsessel.
»Nehmen Sie doch hier Platz«, sagte Beth Curtis, die ein Tablett zum Tisch trug. »Das Essen ist fertig.«
»Was für Drogen haben Sie mir eigentlich gegeben, Doc?«
»Breitbandantibiotika und Schmerzmittel. Warum?«
»Kann's sein, daß die Halluzinationen hervorrufen?«
»Nur wenn Sie dagegen allergisch sind, und das würden wir mittlerweile wissen. Warum?«
»Ach, nur so.«
Beth Curtis kam zu ihm und tätschelte seine Schulter. Ihre Fingernägel, fiel Tucker auf, waren makellos. »Sie hatten Fieber, als man Sie hergebracht hat. Das kann schon mal Alpträume verursachen. Ich bin sicher, nach einem ordentlichen Essen werden Sie sich viel besser fühlen.«
Sie half ihm auf und geleitete ihn zum Tisch, der gedeckt war mit einem weißen Tischtuch und schwarzen Servietten aus Leinen, die um eine Kristallschale mit Orchideenzweigen arrangiert waren. Angerichtet auf einem Tablett mit geviertelten Bananen lag ein ganzer Grouper, dessen Augen ein wenig trocken, aber nichtsdestotrotz klar und vorwurfsvoll wirkten.
Tuck sagte: »Wenn das Ding anfängt zu reden, will ich ein Beruhigungsmittel haben – und zwar gleich.«
»Ach, Mr.
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