Himmelsgöttin
auf und rieb sich, auf seiner Matte aus Gras sitzend, den Schlaf aus den Augen. Er schlief auf der Veranda seines Hauses, die Teil des steinernen Fundaments war, das nun schon seit über achthundert Jahren existierte. Malink erhob sich mit knackenden Gelenken und ging zu der Staude roter Bananen, die vom Dach der Veranda hing, um zwei Stück davon abzureißen und jedem der Jungen eine in die Hand zu drücken.
»Wo habt ihr den Medizinmann gesehen?«
»Er kommt über Vincents Landebahn.«
»Brave Jungs. Jetzt geht schön frühstücken.«
Malink ging zu einem Farnstrauch hinter seinem Haus, zog seinen Thu zur Seite und wartete darauf, daß er endlich pinkeln konnte. Es schien so, als würde es jeden Tag länger dauern, bis es endlich soweit war. Der Medizinmann hatte Malink erzählt, daß er das Prostata-Monster verärgert hatte und die einzige Möglichkeit, es wieder gnädig zu stimmen, darin bestand, aufzuhören Kaffee und Tuba zu trinken und statt dessen die bittere Wurzel der Sägenpalmette zu essen. Malink hatte fast zwei volle Tage lang diese Ratschläge beherzigt, bevor er aufgegeben hatte, weil es gar zu mühselig war, wach zu werden ohne Kaffee, einzuschlafen ohne Tuba, und weil er von Sägenpalmette Bauchschmerzen bekam und ihm die ganze Zeit der Kopf weh tat. Dann mußte das Prostata-Monster eben weiter wütend bleiben. Der Medizinmann hatte auch nicht immer recht.
Er beendete sein Geschäft und rückte seinen Thu zurecht, wobei er eine donnernde Kanonade erschallen ließ, bevor er wieder zu seinem Stammplatz auf der Veranda zurückkehrte, um sich seine Zigaretten zu holen. Die Frauen hatten ein Feuer angefacht, um Kaffee zu kochen, und aus dem rostigen Wellblechanbau, der als Küche diente, waberte der Rauch brennender Kokosschalen und hing als blauer Nebel unter dem Baldachin der Kokospalmen, Brotfrucht- und Mahagonibäume.
Malink zündete sich eine Zigarette an, und als er wieder aufblickte, sah er den Medizinmann den Korallenpfad entlangkommen. Sein weißer Laborkittel stach förmlich aus dem Grün und Braun des Dorfes heraus.
»Saswitch« (Guten Morgen), sagte Malink. Der Medizinmann sprach ihre Sprache.
»Saswitch, Malink«, sagte der Medizinmann. Beim Klang seiner Stimme rannten Malinks Frau und seine Töchter aus der Küche und verschwanden irgendwo in dem Gewirr der Wege des Dorfes.
»Kaffee?« fragte Malink auf englisch.
»Nein, Malink, dafür ist heute keine Zeit.«
Malink verzog das Gesicht. Etwas zu trinken oder zu essen abzulehnen, wenn es einem angeboten wurde, war ein Zeichen von Unhöflichkeit, das sich selbst der Medizinmann nicht erlauben durfte. »Dann wir trinken einen Schluck Tang. Du wollen Tang? Weltraumfahrer es auch trinken.«
Der Medizinmann schüttelte seinen Kopf. »Malink, da war noch ein anderer Mann zusammen mit dem Piloten, den ihr gefunden habt. Ich muß ihn finden.«
Malink blickte zu Boden. »Ich nicht sehen andere Mann.« Der Medizinmann machte keinen sonderlich wütenden Eindruck, dennoch war es Malink unangenehm, ihn anzulügen. Er wollte Vincent nicht verärgern.
»Ich werde niemanden bestrafen, wenn ihm irgendwas zugestoßen ist – für den Fall, daß er verletzt wurde oder er ertrunken ist. Aber ich muß wissen, wo er ist. Vincent hat mich gebeten, ihn zu finden, Malink.«
Malink konnte förmlich spüren, wie sich die Blicke des Medizinmanns in seine Schädeldecke bohrten. »Vielleicht ich sehen andere Mann. Ich werde fragen im Männerhaus. Wie er aussehen?«
»Du weißt, wie er aussieht. Ich muß ihn finden, und zwar jetzt. Die Himmelsgöttin wird euch auch wieder Kaffee und Zucker geben, wenn ihr ihn heute noch auftreibt.«
Malink erhob sich. »Komm. Wir ihn finden.« Er führte den Medizinmann durch das Dorf, das einen völlig verlassenen Eindruck machte, wenn man von einer Handvoll Hühner und Hunde absah, doch Malink blieben die Augen nicht verborgen, die hinter den Eingängen der Hütten auf ihn gerichtet waren. Wie sollte er das hier erklären, wenn sie ihn nachher fragten, warum der Medizinmann ins Dorf gekommen war? Sie ließen das Dorf hinter sich, passierten die verlassene Kirche und den Friedhof, wo dicke Korallenklumpen die Erde beschwerten, damit die Körper der Toten in der Regenzeit nicht an die Oberfläche gespült wurden, und nahmen dann den zugewucherten Pfad, der zu Sarapuls kleiner Hütte führte.
Der alte Kannibale saß vor dem Eingang und wetzte seine Machete.
Malink drehte sich zu dem Medizinmann um und flüsterte: »Er
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