Himmelskinder
beurteilen können.«
»Gibt es irgendetwas – Zähne, Schmuck, eine Narbe, irgendeine Besonderheit?«
»Ihre Zähne sind bestens. Wenig Zucker oder gut gepflegt. Ansonsten Fehlanzeige. Vielleicht können die Schwestern weiterhelfen.«
»Wo finde ich die?«
»Müssten in der Ambulanz sein. Aber fragen Sie auch die von der Intensiv.«
Der Arzt konnte nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken, und Alvermann fragte sich, wie lange er schon Dienst haben mochte.
»War der Rechtsmediziner schon da?«
»Ja, die waren diesmal recht schnell. Haben jede Menge Material. Wenn die DNS bekannt ist, habt ihr ihn sicherlich bald.«
Er bedankte sich bei dem Mediziner. Der Arzt gab ihm die Hand und verschwand wieder in seinem Glaskasten.
12
Tobler machte, dass er zu seinem Auto kam, das er am Hintereingang einer Klinik geparkt hatte. Nicht zu fassen! Das Mädchen war verschwunden. Und dann noch die Alte mit ihrem Köter, in die er fast hineingerannt wäre. Mit beiden Fäusten hämmerte er auf sein Lenkrad ein.
Was für eine gottverdammte Scheiße.
Er hörte in Gedanken die zynische Drohung des Albaners.
Der Richter mit seiner Paranoia hatte ihm das eingebrockt. Er war von der Idee besessen gewesen, das Mädchen loszuwerden, so schnell wie möglich. Er hatte ihm in seiner Panik ins Lenkrad gegriffen und durchgesetzt, dass sie vor dem Park gehalten hatten. Hätte er ihn doch schlafen geschickt, bevor er sich zu dieser Wahnsinnstat hatte überreden lassen.
Die nächsten Schritte … Konzentrier dich.
Die Angst kam in Wellen in ihm hoch. Wohin konnte er verschwinden? Er überschlug in Gedanken seine Barschaft und die Beträge auf seinen diversen Konten. Zwei von ihnen hatte er für diesen Fall eingerichtet. Wenn er davonkommen wollte, musste er schnell sein. Der Albaner wartete auf eine Erfolgsnachricht. Die konnte er bekommen. Ruhig, ruhig, mahnte er sich und biss sich heftig in den Handballen. Der Schmerz vertrieb alles andere. Er wählte.
»Und?«
Tobler bemühte sich, gleichmütig zu sprechen.
»Alles okay. Ich hab sie. Lass mich machen. Ich werde jetzt …«
»Quatsch mir nicht die Ohren voll, Tobler. Gehen wir mal davon aus, dass es eine Ausnahme war. Verstehst du? Bestell dem Richter, er bekommt weiterhin sein Material, aber die Preise haben sich geändert.«
Tobler antwortete mit dem nötigen Respekt. Der Albaner beendete das kurze Gespräch.
Trotzdem, solche Fehler ließ er nicht durchgehen. Tobler kannte ihn zu gut. Seine Bluthunde würden sicher bald auf dem Weg sein. Und wenn er erst erfuhr, in welchem Ausmaß Tobler ihn hintergangen hatte, würde seine Rachsucht keine Grenzen kennen. Wenn er schnell war, konnte er noch eben in seine Wohnung und ein paar Dinge erledigen. Und dann musste er zum Flughafen. Nein, falsch, da würden sie mit Sicherheit warten. Besser erst mal mit dem Bus raus, dann mit dem Zug zu einem Flughafen, so weit weg wie möglich. Ob er vorher noch mit dem Bleichen Kontakt aufnehmen sollte? Er war der Einzige in der Organisation, dem Tobler trauen konnte. Sie hatten als Jugendliche einige Jahre zusammen in einer Motorradgang verbracht. Tobler hatte in einer üblen Angelegenheit vor Gericht einen Meineid geschworen, der dem Bleichen einige Jahre Knast erspart hatte.
Besser, sich erst bei ihm zu melden, wenn er sein Ziel erreicht hatte, irgendwo am anderen Ende der Welt.
Tobler wurde langsam ruhiger. Ja, so würde er es machen.
Nach mir die Sintflut.
13
Das Mädchen sah zwischen den Maschinen, die leise vor sich hin summten, klein und verloren aus. Die kurzen blonden Locken klebten an seinem Kopf. Über die rechte Wange zog sich ein schmaler Schnitt. Der Organismus kämpfte, die Kurven auf den Bildschirmen bewegten sich in geheimnisvollen Rhythmen.
Wer bist du, Kleine? Wer vermisst dich da draußen?
Alvermann ging hinaus und schloss leise die Tür hinter sich. Draußen blieb er einen Moment stehen, und dann hörte er sich tatsächlich irgendeinen Marsch pfeifen, als er den Flur entlanglief.
Der Beginn einer neuen Ermittlung drückte wie eine Zentnerlast auf seine Schultern, besonders wenn er sich mit solcher Brutalität konfrontiert sah. Er brauchte zehn Minuten Ruhe, Kaffee und Zigarillo, Papier und Bleistift. Dann hatte er die Tatumstände in seine innere Landschaft übernommen und sie sich verfügbar gemacht.
Er fand einen Kaffeeautomaten und suchte sich eine ruhige Ecke im Besucherraum, der um diese Zeit leer war. Natürlich – Rauchen verboten. Er öffnete ein Fenster.
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