Himmelskinder
überwinden musste, an die vergangene Nacht zu denken. Langsam begann er zu reden. Von seinem Schlafplatz in der Holzfrau, von der Öffnung an der Hinterseite. In der Nacht, da sei er durch ein Geräusch wach geworden. Erst habe er geglaubt, es seien die Penner, die auf den Parkbänken übernachteten.
»Aber es waren keine von denen. Ich hab rausgeguckt. Das waren andere Männer. Sie waren auf dem kleinen Weg in das Gebüsch.«
Pause. Die Nägel der einen Hand bohrten sich wieder in die andere.
»Der eine hat sich immer umgedreht, und der andere hat was getragen, der ging ganz krumm. Dann sind die in die Büsche verschwunden, aber nur kurz. Als sie wieder rauskamen, sind sie gerannt, ganz schnell, wenigstens der eine, der andere war langsamer. Und dann ist auf der Straße ein Diesel angesprungen.«
»Und das, was der eine getragen hatte, war …«
»Das hatten sie nicht mehr dabei.«
»Hm. Es war doch noch dunkel, oder? Hast du sie sehen können, ihre Gesichter?«
»Neben der Holzfrau ist ja eine Lampe, die ist nachts an. Der kleinere, der sich immer umgedreht hat, trug einen hellen langen Mantel. Er war schon ziemlich alt.«
»Würdest du den wiedererkennen?«
»Ich weiß nicht, vielleicht. Der andere, der war jünger, der hatte eine Glatze – oder fast – und hatte nur ein Hemd an.«
»Würdest du den wiedererkennen?«
»Ja, den schon, der sah so aus … wie der aus Armageddon, der hatte auch eine Glatze.«
»Ich weiß jetzt nicht, wen du meinst, aber das bekommen wir noch raus. Und du bist sicher mit dem Diesel?«
»Ja, mein … Vater fährt auch einen Diesel. Außerdem bin ich durch die Hecke gekrochen und war an der Straße. Da fuhren die an mir vorbei. Es war ein Diesel, ein Mercedes.«
»Hast du das Nummernschild lesen können?«
»Als sie weg waren, bin ich gucken gegangen.«
»Und das Autokennzeichen?«
»Es war noch dunkel.«
»Und du bist nicht gleich zur Klinik gelaufen?«
Bevor Frederic antworten konnte, erschien eine Schwester, um nach dem Tropf zu schauen.
»So, der ist durchgelaufen, da können wir dich abhängen. Die Kanüle lasse ich noch drin. Wenn du duschen willst, mach das ruhig. Ist mal fällig, oder?«
Sie sagte das freundlich, und Frederik nickte.
»Hier, drück mal feste drauf, damit es keinen blauen Fleck gibt.«
Als sie gegangen war, nahm Frederik den Apfel und biss hinein. Dann legte er ihn wieder auf das Schränkchen.
»Ja, und da habe ich sie zugedeckt mit meinem Hemd hier, weil es so geregnet hat. Ich bin noch mal zurück und hab überlegt, was ich tun soll. Ich hatte so dolle Bauchschmerzen gekriegt. Da musste ich erst mal kacken. Ich hatte Angst, dass die Kerle vielleicht doch noch zurückkommen. Weil ich dann zum Krankenhaus gelaufen bin, habe ich mir das Hemd wiedergeholt.«
Frederik schien am Ende seiner Kräfte; die Stimme war immer leiser geworden.
Alvermann ging ins Schwesternzimmer und bat darum, kurz mit dem Arzt sprechen zu können. Der war irgendwo im Haus unterwegs, teilte aber telefonisch mit, dass er sich wegen eines Entlassungstermins nicht festlegen wollte. Die Blutwerte gefielen ihm nicht und, nein, heute sollte der Junge auf keinen Fall, auch nicht für zwei Stunden, die Klinik verlassen. Morgen sei das verhandelbar.
Alvermann spürte den Zeitdruck. Sie mussten versuchen, einen Zeichner vom lka hierherzuholen. Und jemand vom Jugendamt musste sich um Frederik kümmern. Was er jetzt vor allem brauchte, war jemand, der dafür sorgte, dass Frederik nicht aus dem Krankenhaus abhaute.
15
Ellen Neusser, die gleich abhob und wie immer bestens informiert war, brauchte nur Stichworte, um das Nötige in Gang zu bringen.
»Ich versuche es. Vielleicht haben die nachmittags noch jemanden in Düsseldorf, der rauskommen kann. Und die van Laack will dich noch sprechen. Jetzt?«
»Hat sie Masur zu sehen bekommen?«
»Nein, nein, den halte ich unter Verschluss.«
»O.k., ich brauche sie auch.«
Mit der van Laack konnte man eigentlich über alles reden, nur nicht über Drogen oder Alkohol im Dienst. Er teilte ihr die Fakten mit und seine Befürchtung, dass der Junge abhauen könnte.
»Tja, da sehe ich keine Möglichkeit. Meiners hat schon zwei Kollegen, zwei sitzen an den Vermisstenmeldungen und brauchen noch. Die König kommt erst zum Abend zurück. Ich gebe dieser Sache die nötige Priorität, aber ich habe niemanden mehr.«
»Vielleicht jemanden von den Jugendsachbearbeitern?«
»Ich schaue, was sich machen lässt. Aber vor heute Abend sicher
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