Himmelskinder
hab zu arbeiten!
Tief einatmen, ausatmen .
Er stieß die Flurtür zur Kinderabteilung auf und ging, auf der Suche nach einer Schwester, den Gang entlang.
Wenig später beobachtete er durch eine kleine Scheibe in der Tür den Jungen. Dessen Liege war in einen Nebenraum des Schwesternzimmers gefahren worden. Auf der Kinderstation sei kein Platz, hatte er erfahren, und dass der Junge noch mindestens eine Nacht bleiben solle, sicherheitshalber.
Der kleine Patient hatte sich aufgesetzt und schaute auf den Tropf neben sich. Seinen Arm mit der Kanüle bewegte er vorsichtig rauf und runter. Es schien ihm besser zu gehen. Wirklich ein dürres Kerlchen, dachte Alvermann beim Eintreten. Der Junge zuckte zusammen, musterte ihn kurz und schaute dann weg.
»Hallo, Oliver. Ich bin Erik Alvermann von der Polizei. Prima, wie du reagiert hast. Wenn du sie nicht gefunden und gleich Bescheid gesagt hättest, ginge es ihr sicher viel schlechter.«
Es sah so aus, als drücke der Junge mit den Nägeln seiner rechten Hand mit aller Kraft in den Handballen seiner linken Hand.
Alvermann holte seinen Ausweis heraus.
»Hier, Oliver, damit du sicher sein kannst, dass ich wirklich Polizist bin.«
Ein kurzer Blick auf den Ausweis, dann schaute er wieder weg. Alvermann überlegte, ob er eine Kollegin anrufen sollte. Er entschied sich erst mal dagegen.
»Oliver, es ist so, dass wir deine Hilfe brauchen. Hast du jemanden gehört, irgendetwas gesehen, bevor du sie gefunden hast? Irgendetwas, das uns weiterhelfen könnte?«
Keine Reaktion; lediglich die Schultern des Jungen zogen sich zusammen.
Wenn was nicht funktioniert, dann mach nicht immer mehr davon, dachte Alvermann – einer seiner Grundsätze bei Zeugenvernehmungen, vor allem in Zusammenhang mit Gewalttaten.
»Ich habe heute noch nichts gefrühstückt. Ich hole mir etwas zu essen und einen Kaffee. Soll ich dir was mitbringen?«
Der Junge nickte.
»Kakao oder Tee?«
Wieder nickte der Junge.
»Also Kakao. Gut, bin gleich zurück. Du heißt doch Oliver, ja?«
»Nein, Frederik. Oliver heißt mein Bruder.«
Polizisten darf man schließlich nicht belügen, höchstens in Notfällen.
Als Alvermann zurückkam, war die Liege leer, und er schalt sich einen Riesenidioten, dass er den Jungen alleine gelassen hatte. Im Schwesternzimmer war niemand. Er hastete auf den Flur. Der Kleine kam gerade von der Toilette, zusammen mit einer Schwester. Den Ständer mit dem Tropf schob er neben sich her.
Das wäre es gewesen .
»Na, dann kann es ja losgehen.«
Fürsorglich stellte er den Teller mit den Brötchen auf den Nachttisch, daneben den Kakao und einen Apfel. Er wartete, bis der Junge wieder auf der Liege saß, und rollte den Tisch vor ihn. Sie aßen beide, der Junge erst zögerlich, dann mit Heißhunger.
Als beide aufgegessen hatten, guckte der Junge nach einer Weile Alvermann an:
»Ich bin nicht sofort zum Krankenhaus gelaufen.«
Der Junge schien auf etwas zu warten, Alvermann nickte nur.
»Ich hatte so ’ne Angst, dass die Kerle wieder zurückkommen.«
Wieder nickte Alvermann nur.
»Ich war erst noch in der Holzfrau.«
»Ja, das waren finstere Gestalten. Da hätte ich es auch nicht anders gemacht, glaube ich.«
Der Junge guckte skeptisch, dann schüttelte er den Kopf.
»Der vom Krankenwagen hat gesagt, man hätte sie eher finden müssen.«
»Warte mal, sie lebt doch und vor allem deshalb, weil du dich gemeldet hast. Ohne dich hätte sie keine Chance gehabt. Du bist eine Art Lebensretter.«
Schweigen.
Alvermann stand auf und guckte aus dem Fenster.
»Wenn ich zu denen zurück muss, hau ich wieder ab.«
Klar, dachte Alvermann, von drei Kindern sitzen zwei irgendwie in der Scheiße.
»Vielleicht kann ich dir helfen.«
»Hm.«
»Du magst nicht darüber reden, Frederik?«
Alvermann dachte, dass die Situation den Jungen überfordere und er sich wie in einer Falle fühlen müsse.
»Deine Familie lebt nicht in Karlsbach, oder?«
»Nein.« Mehr kam dazu nicht.
Nachdem Alvermann es hatte gut sein lassen und noch Nachschub geholt hatte, mehr Kakao und einen Apfel, taute der Junge ein wenig auf. Als Alvermann jedoch auf die Nacht zu sprechen kam, blieb es wieder still.
Alvermann spürte, wie seine Ungeduld den Blutdruck antrieb. Und wieder dieser Kopfschmerz!
So geht das nicht. Atmen, entspannen, atmen.
»Wenn du mir nicht hilfst, weiß ich erst mal nicht weiter«, sagte Alvermann und berührte den Arm des Jungen dabei kurz.
Es war Frederik anzumerken, dass er sich
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