Himmelskinder
Lebkuchenherz mit der Aufschrift »Holde Maid, wir lieben dich« und ungefähr zwanzig verschiedene Süßigkeiten versteckt, alle rot verpackt wie die CD, die natürlich ganz zuunterst lag. Das Gelbe Zimmer sah bald aus wie eine Müllhalde mit roten Tupfen.
Alvermann ging und kam mit Sekt zurück. Für Masur hatte er Orangensaft, den er für alle deutlich vor ihn hinstellte. Es sollten alle mitbekommen.
»Na ja«, meinte Frau Doktor, »ein Glas für jeden zum Anstoßen. Sicher.«
27
Masur fuhr nach Hause, um sich umzuziehen. Alvermann wollte bis zum Stettnerpark mitgenommen werden.
»Ich habe keine Zeit für Volksreden. Muss mich konzentrieren. Ich trinke heute nichts, morgen nichts und all die anderen Tage auch nichts – also!«
»Ja, ja, ganz was Neues. Ich will noch mal nach dem Jungen sehen – also!«
»Na dann, steig ein. Vielleicht ist es unsere letzte gemeinsame Fahrt.«
»Wahrscheinlich. Willst du mit oder ohne Blumenschmuck?«
Alvermann sprang nach der kurzen Fahrt aus dem Wagen, beugte sich dann noch mal zu Masur:
»Aber im Ernst, pass auf dich auf. Lass dich auf nichts ein. Gegen die haben wir schon mal verloren, und zwar auf ganzer Linie.«
Masur zielte mit seiner rechten Hand auf Alvermann:
»Django hat ’ne große Wumme.«
Er verdrehte die Augen und entfernte sich mit raschen Schritten. Masur blickte ihm nach. Es war nicht das erste Mal, dass Alvermann eine dienstliche Angelegenheit auch zu seiner privaten machte. Masur wusste, was ihn umtrieb.
Er hatte mit Alvermann ab der Mittelstufe dieselbe Klasse besucht und die gleichen Ehrenrunden gedreht. Sie hatten zusammen ihre Mopeds frisiert und im selben Plattenladen die neusten Scheiben der Stones mitgehen lassen. Er fühlte sich in der Familie des Freundes fast wie zu Hause. Und als die Sache mit Robert passierte, war auch er erschüttert, und die Trauer der Familie hatte ihn tief berührt. Der alte Alvermann hatte seinen Jungen bis zuletzt zu Hause haben wollen. Es war ein harter Kampf gewesen. Aber nachdem die Spurensicherung abgeschlossen war, hatte er sich durchsetzen können. Wann immer Masur in jenen Tagen bei den Alvermanns war, hielten Vater oder Bruder die Trauerwache.
Der Park lag ruhig in der Dunkelheit, nur hier und da erhellt von Bogenlampen. Als er in die Nähe des Sees kam, meinte er, Rufe aus Richtung der Holzfrau zu hören. Erschrocken hastete er los.
Kurz vor seinem Ziel hörte er nichts mehr. Leise lief er auf die Holzfrau zu. Frederiks ehemaliger Unterschlupf sah verlassen aus. Im Licht der Bogenlampe schien die Skulptur gewachsen zu sein.
Er hockte sich neben sie, griff durch die Öffnung und tastete mit den Händen umher. Nichts, leer bis auf Decken und Zeitungen. Der Briefumschlag und die 20 Euro waren verschwunden. Hoffentlich, dachte er, hoffentlich hat der Junge ihn.
Als er sich aufrichtete, erhielt er einen Schlag von hinten an die Schulter. Im Umdrehen ging er in Verteidigungshaltung und dachte an seine Waffe im Büro.
Ein Mann, dessen Gesicht von zu viel Alkohol und zu wenig Zugehörigkeit sprach, blickte ihn aus vorwurfsvollen Augen an. Seine Sprache war verwaschen. Er roch nach dem Leben, das er führte. Er mochte sechzig oder siebzig Jahre alt sein, vielleicht aber auch jünger.
»Was suchen Se denn? Den Jungen? Alle suchen se den Jungen. Erst will niemand was wissen, und dann plötzlich Hinz und Kunz. Was wollen Se denn von ihm?«
Unvermittelt wich er zurück und riss seine Augen auf, als bemühe er sich, den Nebel aus seinem Kopf zu vertreiben. Er strich über seinen rechten Arm, der merkwürdig bewegungslos herabhing.
Wen meinte der Alte? Einige Pressefritzen hatten sich in den letzten Tagen hier rumgedrückt. Wenn es denn nur die waren …
»Wissen Sie, wo er ist? Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
Der Mann wandte sich ab und ging schwankend von ihm weg. Alvermann folgte ihm zu einer Bank in der Nähe, auf der etliche gefüllte Plastiktüten, eine Flasche Wein XXL und mehrere Decken lagen. Der Alte nahm die Flasche und versuchte ungeschickt, sie mit einer Hand zu öffnen. Alvermann half ihm und gab ihm die geöffnete Flasche zurück.
»Mein Arm!«, sagte der Alte mit verzerrtem Gesicht, »das Schwein! Hat mir erst was zu trinken mitgebracht, und dann …«
Die letzten Worte waren nicht mehr zu verstehen.
»Ich will weiter nichts von Ihnen, ganz sicher nicht, ich will nur wissen, was mit dem Jungen ist.«
Der Mann setzte die Flasche an den Mund. Nach etlichen Schlucken reichte er
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