Himmelskinder
solltest mal was mit deinen Ohren machen.«
Alvermann fand, dass die beiden Namen sehr wohl ähnlich klangen, wenn auch, so gab er zu, Matjes nicht unbedingt der klassische Jungenname war, vermutlich auch nicht in Holland.
Sie hatten noch die eine oder andere Idee für ein paar holländische Jungennamen, bis Alvermann seine Gruppe zur Ordnung rief.
»Werde nachher Günter Karasch besuchen«, kündigte Bulleken an, »und zwar unangemeldet. Dann habe ich mich noch einmal auf die Suche nach Nieheim gemacht, mit Erfolg. Unser Freier von damals sitzt seit zwei Monaten in U-Haft in Berlin. Was meint ihr – wäre doch nicht übel, ihm ein wenig auf die Eier zu gehen, oder? Und übrigens, die Akte 16/305 aus 99 ist immer noch verschwunden. Münster hat noch mal im Keller gesucht: nichts.«
»Menschenskind, Masur!«, schnauzte Alvermann.
Masur schlug sich auf die Brust:
»O verdammt, tut mir leid, hätte dir Bescheid sagen müssen. Habe mir die Akte aus deinem Zimmer geholt, um mir noch mal die Aussagen zu diesem ›Guido‹ durchzulesen. Ich kann dich umfassend über den Herrn informieren, wenn du willst.«
»Gut«, meinte Alvermann und nickte Bulleken zu, »fahr am besten schon morgen. Lass dir den Antrag von der van Laack unterschreiben, ich spreche gleich mit ihr.«
Als er nach dem Telefon griff, klingelte es. Alvermann hob ab und hörte kopfschüttelnd zu.
»Die Klinik. Norbert Blecher, unser Freund aus dem Park, kann entlassen werden. Der Arm ist in Gips, und der ganze Mann ist sozusagen runderneuert, gewaschen und neu eingekleidet.«
»Und?«
»Er weigert sich zu gehen. Er sitzt auf seinem Bett und singt Kirchenlieder.«
»Er singt was?«, wollte Meiners wissen. »Der will wahrscheinlich nicht zurück auf die Straße. Kann ich gut verstehen nach dem, was die mit ihm angestellt haben.«
Alvermann überlegte einen Moment:
»Du kennst doch da jemanden in Düsseldorf, in diesem Caritasheim. Versuch doch mal, den Alten da unterzubringen. Wenn du ihm den Vorschlag machst – mittags warmes Essen und abends eine Tür zum Abschließen –, da hört der auf zu singen und kommt mit, da wett ich drauf. Und auf der Fahrt könnt ihr ein wenig ins Gespräch kommen. Mir gegenüber war er gestern reichlich zugeknöpft.«
Meiners wollte erst nicht den Sozialarbeiter geben, sah aber dann die Möglichkeit, den Alten zum Sprechen zu bringen. Er versprach, sich um den Herrn Kammersänger zu kümmern, und zog ab.
Dreißig Minuten später war er vor Ort, und Alvermann behielt recht: Norbert Blecher, der Obdachlose aus dem Stettnerpark, ging lammfromm mit und bedankte sich mehrere Male bei Meiners. Ihn hätte der Herr geschickt.
Tatsächlich erfuhr er während der Fahrt nach Düsseldorf ein interessantes Detail, das der Alte bisher verschwiegen hatte. Er habe dem Jungen geraten, aus dem Park zu verschwinden. Hinter der alten Papiermühle sei ein Schuppen, da könne er sich bis zum Winter aufhalten. Zu seinen Peinigern könne er nichts Neues beitragen; als die ihn quälten, da sei er schon weggetreten gewesen. Aber er schwor bei allen Heiligen, ihnen nichts von der Papiermühle gesagt zu haben – glaube er wenigstens.
36
Frederik hatte den Brief von Alvermann gefunden und war mit dem Geld sparsam umgegangen. Die ersten Tage nach der Flucht verbrachte er an unterschiedlichen Orten, war nur nachts unterwegs und rechnete ständig mit seinen Verfolgern. Den Schuppen hinter der stillgelegten Papiermühle hatte er öfter aus sicherer Entfernung beobachtet. Nachdem dort alles ruhig geblieben war, fasste er langsam Vertrauen zu dem Ort.
Nach einem Großeinkauf in einem türkischen Laden – Wasser, Haferflocken, Milch, Brot, Thunfisch und Äpfel – war das Geld ausgegeben. Der Sohn des Besitzers, ein Junge in seinem Alter, hatte ihm türkische Süßigkeiten mit in die Plastiktüte gesteckt und ihn verschwörerisch angelächelt.
Er schleppte die Tüten in sein neues Heim. Der Schuppen war gar nicht so schlecht. Nach hinten raus gab es eine Tür, durch die er sich, falls angebracht, in das dahinterliegende Waldstück verdrücken konnte.
Stück für Stück trug er seine Schätze über eine Leiter auf den Zwischenboden. Hier lagen Decken, Zeitungen und sogar eine Tasse, wahrscheinlich von seinem Freund aus dem Park. Nachdem er gegessen hatte, fühlte er sich zum ersten Mal nach seiner Flucht wieder ruhiger, obwohl die Angst nicht völlig verschwunden war. Er hatte sich nach diesem Drecksartikel schon gedacht, dass sie kommen
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