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Himmelskinder

Himmelskinder

Titel: Himmelskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Feldhausen
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gerannt wäre, dann würde sie bestimmt noch leben.
    An dem Ort, wo die Kerle sie weggeworfen hatten, war er öfter gewesen und hatte Blumen aus dem Park hingelegt. Jedes Mal hatte er ihr versprochen, dass sie es büßen würden. Er begann zu zittern, obwohl ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief.
    Wohin konnte er überhaupt noch? Es blieb nicht ewig hell, und er musste den Weg zurückfinden, raus aus dem Wald. Er merkte bald, dass er im Kreis lief, und machte sich Markierungen mit Pfeilen aus Zweigen. Nach einer guten Stunde war er endlich wieder am Rand des Waldes, ganz in der Nähe der Papiermühle angekommen. Er setzte sich hinter einen Baum, von dem aus er den Schuppen im Blick hatte. Langsam wurde er ruhiger und spürte seinen Hunger. Er dachte an die Thunfischdose, die noch halb voll war, und an den Rest Brot. Es half nichts, er musste erst rausfinden, ob das Auto noch vor der Mühle stand. Nachdem er in großem Bogen das ganze Areal umrundet hatte, konnte er sich davon überzeugen, dass der Wagen verschwunden war. Trotzdem war er vorsichtig und hielt sich hinter den Bäumen, als er zurückging. Es dämmerte inzwischen. Er war jetzt fast sicher, ohne Gefahr einen Blick durch das Fenster der Hintertür wagen zu können. Schritt für Schritt ging er in gebückter Haltung auf den Schuppen zu, die letzten Meter rannte er. Er hockte sich vor die Tür und versuchte, leise zu atmen. Nur das Blut war zu hören, das in seinen Ohren rauschte. Er richtete sich auf und sah durch die schmutzige Scheibe. Der Raum war leer bis auf die Leiter, die hoch führte, und die Maschinen, die rechts neben der Eingangstür standen. Als er die Tür öffnen wollte, verließ ihn der Mut. Er setzte sich wieder und wartete, worauf auch immer. Der Hunger bohrte in ihm.
    Ich geh nur rein, hol die Tüte und hau wieder ab.
    Er schaute durch die Scheibe und hatte die Klinke schon in der Hand, als ihm vor Schreck schwindelig wurde. Da schlich schon wieder ein Kerl herum. Jetzt blickte er sich um und war schon über die Treppe nach oben verschwunden. Frederik sackte vor der Tür zusammen, kroch ein Stück weg. Er versuchte, sich zu konzentrieren. War das der Mann von vorhin oder ein anderer? Es gelang ihm nicht, wieder aufzustehen; ihm wurde schwarz vor Augen.
    Später hörte er den Motor eines Autos, das sich näherte, aber diesmal bis vor den Schuppen gefahren kam. Der Junge war unfähig, sich zu bewegen, blieb einfach nur sitzen. Wer war das jetzt noch? Nach endloser Zeit, als alles ruhig geblieben war, raffte er sich auf und kroch um den Schuppen herum. Als er um die Ecke schaute und den Mann erkannte, der auf dem Bordstein saß, wusste er, dass er jetzt nichts falsch machen durfte.
    Gegen Abend fuhr Alvermann in den Süden der Stadt, in dem er sich selten aufhielt und sich nicht auskannte. Meiners hatte ihm zwar den Weg beschrieben, aber er landete in Einbahnstraßen, die ihn immer wieder von dem ehemaligen Industrieviertel wegführten. Er konnte es nicht fassen, dass er so viel Zeit mit Hin- und Herfahren vertat, dass er endlich jemanden fragte und in wenigen Minuten vor der Papiermühle stand. Sollte er hier halten oder bis zum Schuppen fahren? Besser war es, weiterzufahren und direkt davor zu halten. Falls der Junge wiedergekommen war, sollte er merken, dass er, Alvermann, nichts zu verheimlichen hatte.
    Er stellte den Wagen neben dem Schuppen ab und ging eine Weile hin und her, setzte sich in sein Auto und rauchte. Schließlich hockte er sich neben die Schuppentür auf den Bordstein. Der Himmel war wolkenlos, und als die Sonne unterging, blieb es hell genug, um ihn erkennen zu können. Noch eine Abarisco, sagte er sich, dann fahre ich wieder. Gedanken kamen und gingen: das Himmelskind, Trüstedt – wie die beiden Fälle wohl zusammenhingen? –, Janne, und dass er bald wieder nach Holland fahren musste. Was alles in meinem Kopf Platz hat, wunderte er sich ohne die Spur eines schlechten Gewissens. Und gleich darauf sah er Robert vor sich, in dessen Kopf so viele chemische Formeln gepasst hatten, dass Alvermann es nicht hatte glauben können. Robert in seinem besten Anzug, den er zum Abitur getragen hatte, und dann für diesen letzten Anlass. Ihre Mutter war nie darüber hinweggekommen, wie auch? Der Vater hatte darauf bestanden, dass der Junge die Fußballschuhe anhaben sollte, und er, der Bruder, hatte seither Träume von Schuld und Versagen, die er nicht loswurde.
    Als der erste kleine Kiesel vor ihm landete, schreckte er hoch und

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