Himmelskinder
Sein Nachbar zeigte sich interessiert, und sie verabredeten einen Abend, um bei einem Rotwein über die mögliche inhaltliche Gestaltung ins Gespräch zu kommen. Sie verabschiedeten sich. Stein war angetan von seinem aufgeschlossenen Nachbarn. Er hatte von Bartholdy eigentlich als von einem äußerst harten und wenig verbindlichen Richter gehört. Insbesondere befreundete Rechtsanwälte hatten sich in dieser Richtung geäußert. Aber am Verlauf dieses Gesprächs gab es nichts auszusetzen.
Bartholdy stand inzwischen in seiner Diele und sortierte die Post. Eine Ansichtskarte seines Sohnes aus Sydney. Viel mehr als einen Gruß gab es nicht, aber immerhin, er meldete sich. Nach dem frühen Tod seiner Frau hatte er den Sohn in einem Internat am Bodensee untergebracht. Die Schulferien, die sie in aller Regel gemeinsam verbrachten, waren bis zur Pubertät erträglich gewesen. Dann wurde es zunehmend schwerer, ein Gespräch zu führen, ohne dass Bartholdy wütend wurde oder sein Sohn gekränkt abreiste. Seitdem der Junge im Studium war, sahen sie sich nur noch zu Weihnachten. Sie hatten einfach keine Berührungspunkte. Anstatt Jura zu studieren wie der Vater, hatte er sich für Kunst entschieden, und nicht etwa für das Lehramt, sondern für die Kunsthochschule in Düsseldorf. Er war gleich beim ersten Anlauf genommen worden. Bartholdy konnte in keiner Weise nachvollziehen, dass die Klecksereien seines Sohnes auf Gegenliebe gestoßen waren. Dennoch, über die Karte freute er sich und stellte sie auf die Notenbank des Flügels.
In der Küche packte er die Lebensmittel aus und öffnete eine Flasche Barolo. Er ging mit dem Glas in seinen Wohnraum und suchte nach Wagners »Tristan und Isolde«. Er legte die erste CD aus dem Schuber ein und lauschte der Ouvertüre, während er genüsslich die ersten Schlucke seines Rotweins kostete. Zurück in der Küche vertiefte er sich in das Rezept für Veau braisé en Casserole, in der Kasserolle geschmortes Kalbfleisch. Das Rezept für sechs Personen reduzierte er um die Hälfte, so würde ihm für morgen immer noch etwas übrig bleiben. Das Kalbfleisch hatte er in der besten Metzgerei von Karlsbach gekauft, wie immer von ausgesuchter Qualität.
Nach dem großartigen Essen, für das er im Esszimmer gedeckt hatte, räumte er rasch die Spülmaschine ein und setzte sich ins Arbeitszimmer. Er hatte noch Urteile von heute zu diktieren. Kurz nach zweiundzwanzig Uhr schrillte das Telefon und unterbrach seinen Gedankenfluss. Unglaublich, dachte er, um diese Zeit noch anzurufen. Ärgerlich meldete er sich.
»Hans, ich muss dich dringend sprechen. Ich weiß, es ist spät, aber es führt kein Weg daran vorbei. Ich bin in fünfzehn Minuten bei dir.«
Bartholdy war alarmiert. Wenn Rössler um diese Zeit noch kommen wollte, konnte das nur bedeuten, dass sich ein Sturm über ihnen zusammenbraute. Wieso das?, fragte er sich. Breckede hatte doch mitgeteilt, dass die Sache in trockenen Tüchern sei, dass sich nur der Preis erhöht hatte.
Jürgen Rössler sah erschöpft aus, als er wenig später Bartholdy gegenübersaß. Den Rotwein lehnte er ab, er wolle nur ein Glas Wasser.
»Morgen fährt jemand aus der Alvermann-Gruppe nach Berlin. Nieheim sitzt dort ein. Wenn die ihm ein Angebot machen, wird er reden.«
Bartholdys Stimme klang heiser, als er antwortete.
»Damit war zu rechnen, dass das irgendwann geschehen würde. Gut nur, dass du Stahl und Grünewald damals die Seegrundstücke zugeschoben hast. Ich kümmere mich gleich darum. Willst du nicht doch einen Schluck? Er ist großartig.«
Rössler nickte jetzt und ließ sich in den Sessel zurückfallen. Die alten Seilschaften, dachte er. Wenn die halten, geht alles weiter. Durch diesen Irrsinn damals werde ich mein Leben lang an dieses Schwein gebunden sein. Noch während Rössler mit seinem Glas beschäftigt war, wählte Bartholdy und ging mit dem Telefon aus dem Raum.
41
Alvermann hatte noch vom Lkw aus eine Fahndung eingeleitet, die wieder ergebnislos verlaufen war. Die Technik hatte noch nachts Spuren im Schuppen und vier Kugeln sicherstellen können. Nach einer kurzen Besprechung mit Masur im Präsidium war er mit Frederik zu sich nach Hause gefahren. Auf dem Weg berichtete der Junge, wo er sich seit seiner Flucht aufgehalten hatte, und vor allem, was seit Meiners Besuch im Schuppen geschehen war. Als sie später in Alvermanns Küche zusammen Brot und Käse aßen, hatte der Junge ihm plötzlich ein Autokennzeichen genannt.
»Von den Männern
Weitere Kostenlose Bücher