Himmelskrieg: Roman (German Edition)
Kraft kostete, entschied sie sich ebenfalls dafür, passiv zu bleiben und sich in das Unvermeidliche zu fügen. Sie faltete die Hände über der Brust, und nach einer Weile erkannte sie, dass sie gegen die Wand der Blase trieb.
Einen Moment lang befürchtete sie, sie könnte direkt hindurchsegeln – oder dagegenknallen. Oder bei der ersten Berührung durch einen Stromschlag getötet werden.
Zum Glück passierte nichts dergleichen. Sie prallte nur sanft von der Wand ab und driftete langsam, aber sicher auf das andere Ende der Blase zu, gemeinsam mit mehreren Dutzend anderer Leute. Ebenso viele schienen allerdings in Richtung des entgegengesetzten »Pols« zu schweben. Das Objekt musste sich drehen und ein wenig von der Bewegung auf seinen Inhalt übertragen.
Und jetzt blieb Valya nichts anderes, als das Spektakel zu beobachten, wie eine Gruppe von Menschen im Innern einer Riesenblase driftete, ein Bild, das eher zu einem verrückten Fahrgeschäft in einem amerikanischen Vergnügungspark gepasst hätte.
Eine geraume Zeit lang war die Blase gefüllt mit Schreien, Jammern und Gebeten in einer polyglotten Mischung aus Hindi, Urdu, sogar Chinesisch, Portugiesisch und Russisch.
Was die anderen, gravierenderen Seiten betraf, die diese Existenz in der Blase mit sich brachten, so bemerkte Valya, dass völlig getrennt von den Wasser- und Nahrungsmittelspendern eine andere Maschine Blut, Urin und andere Abfälle aufsaugte.
Das fand sie tröstlich. Es verriet ihr, dass die Konstrukteure der Blase sie mit Absicht eingesammelt hatten und aus irgendwelchen Gründen planten, sie zu versorgen.
Halbwegs beruhigt hatte Valya fast einen halben Tag lang in Rotation verbracht und geschlafen. Sie hatte schon in Flug zeugen schlecht geschlafen, aber immer noch besser, als es ihr in der Blase möglich war. Danach hatte sie einen Bestandsaufnahme des Inhalts ihrer Tasche gemacht (Jedesmal, wenn sie hineinsah, schienen weniger Dinge drin zu sein! Wo war die Rolle Dyno-Mints geblieben?) und spekuliert, wer sie ihr wohl geklaut haben mochte, warum und wozu.
Doch vorherrschend in ihrer Erinnerung war das Gefühl, sie würde in die Tiefe stürzen.
Ihr Verstand sagte ihr, dass sie nichts anderes spürte als das, was Kosmonauten seit sechzig Jahren erlebten – Schwerelosigkeit oder Mikrogravitation oder, jawohl, den freien Fall.
Doch dieses Wissen, und obwohl sie sich vergegenwärtigte, dass Dale, ihr neuster Lover, das alles mitgemacht hatte, nützte ihr gar nichts. Auf diese verstörende Erfahrung war sie einfach nicht vorbereitet.
Während sie unterwegs waren, hatte sie kaum nennenswerten Kontakt mit ihren Mitreisenden. Gewiss, manchmal nickte man sich zu oder schnitt vielsagende Grimassen. Einmal schwebte eine schluchzende junge Frau dicht an ihr vorbei. Valya packte sie und sprach in Hindi ein paar tröstende Worte, an die sie im Grunde selbst nicht glaubte. »Seien Sie unbesorgt. Man bringt uns an irgendeinen Ort. Wenn man unseren Tod wollte, würde man uns nicht mit Lebensmitteln und Wasser versorgen.«
Etwas fiel Valya besonders auf – die Überraschung auf dem Gesicht der Frau, als Valya mit ihr redete. Sicher, in Bangalore war sie eine richtige Außenseiterin gewesen. Sie war durchschnittlich groß und brachte mehr Pfunde auf die Waage, als ihr lieb war (es war schon deprimierend, wie schnell man mit dreiundfünfzig zunahm), hatte blaue Augen, blonde Haare und sprach Hindi mit einem russischen Akzent.
Die Russen hatten sich in Indien noch nie großer Beliebtheit erfreut.
Trotz ihrer Sprachbegabung war es nicht weiter verwunderlich, dass sie von den anderen Entführungsopfern isoliert war. Valya hatte nur sehr wenige Mitarbeiter des Bangalore- Teams kennengelernt. Noch bis vor Kurzem hatte ihre gesamte Arbeit, die mit der BRAHMA -Mission zusammenhing, in Mos kau stattgefunden.
Warum auch nicht? Sie war Linguistin, keine Raumfahrtexpertin. Sicher, indirekt war sie mit dem Raumfahrtprogramm groß geworden – ihr Vater, Anton Makarov, arbeitete in der Energiya-Fabrik, in der Raumschiffe gebaut wurden. Aber im Grunde war er nichts weiter als ein Klempner. Valyas Mutter war Sekretärin in einer von Energiyas Schwesterorganisationen.
Von beiden Elternteilen hatte sie gelernt, welche überwältigende und dabei unproduktive Rolle die Kommunistische Partei spielte – es ging niemals um Ideologie, sondern nur um Boni und Vergünstigungen – und wie die Insiderpolitik jeder Organisation aussah, die größer war als ein
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