Himmelsmechanik (German Edition)
Knauserigkeit, die Überheblichkeit und die anderen Laster, die sie im Ausland gelernt haben, und behalten sie diese wenigen Tage bei uns, als würde es uns das Herz brechen, wenn wir sie wieder wegfahren lassen. Denn sie kommen nicht als Parasiten der Erinnerung, sondern als Wiedergutmacher. Kein Einziger, der nicht alles, was er zusammengebracht hat, in den Schutz des heiligen Hauses des Vaters gesteckt hätte, in seine äußerst genaue Instandhaltung, in den getreuen Wiederaufbau. Als ginge es darum, eine Massensünde zu sühnen, und die Strafe wäre die ewige Hingabe an die Steine einer Krippe, aus der zu fliehen sie das Jesuskind nicht gehindert haben. Und so sind sie durch ein Gelübde an diese Häuser gebunden, und man lässt sie nie sterben, niemals, solange sie ihren Kindertraum hegen, früher oder später das Kindchen in die Krippe zurückzubringen.
Das Revier ist voll von diesen Votiv-Häusern, und Careggine besteht nur aus solchen; und es ist eine Schönheit ohnegleichen, nicht von den unheilvollen Ambitionen nach Ausbau und den blöden Versuchungen der Moderne verseucht. Im dumpfen Sarkophag der Keller dieser Häuser finden sie nach ihrer Ankunft zerlegt, eingesalzen und zu Wurst verarbeitet das Schwein, das sie von ihren treuen lokalen Geschäftspartnern die gehörigen achtzehn Monate lang mästen ließen. Im Hinblick auf den Heiligabend bereiten sie zwei enervierende Tage lang die Brühe für die
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vor; und am Heiligabend versammeln sie zu deren Verzehr als eine Art Bestätigung einer Taufe alle höheren und niederen dynastischen Linien, so weit es ihnen möglich ist, bis hin zum dritten und vierten Grad. In der Küche haben sie jedenfalls einen Tisch, der immer groß genug ist, und wenn die Stühle nicht ausreichen, können sie in der Bar welche holen.
In eines dieser Häuser bin ich mit Nita eingeladen; und es ist nicht das Haus eines Engländers, sondern das von Aristo und seiner Erbin Malva, genannt Malvina. Wenn Aristos Sohn Ulisse die edelste und schönste Hippe des Distrikts erben wird, bekommt seine Enkelin Malvina das Haus von Careggine. Ulisse will es nämlich nicht, und es will auch niemand anderes als Malvina, und wenn sie es nicht wollte, dann wäre es schon seit vielen Jahren unbewohnt und verfallen.
Malvina ist schon dreißig Jahre alt, und wüsste man nicht, dass sie sich manchmal mit Nazzareno trifft, würde man sie nicht an manchen Tagen außerhalb der Saison in den Wäldern sehen, könnte man glauben, sie sei dazu geschaffen, Kind zu sein, solange sie lebt. Wenn man sie so betrachtet. Wegen ihres schmächtigen, zarten Körpers und ihres pausbackigen Gesichtchens, wegen dieser drei Strähnen in der dunklen Farbe des Akazienhonigs, die sich wie Honig aufhellen, sobald Licht darauffällt. Wegen der Beinchen, die hier- und dorthin flitzen und sie nie innehalten lassen, wegen ihrer Hände, deren Flächen so groß wie Lorbeerblätter sind. Wegen dieser Augen eines jungen Kätzchens, die ständig fragen und immer nein sagen. Wenn man sie sieht, meine ich; hören kann man sie nämlich nicht. Sicherlich wird sie einen Weg finden, mit ihrem Großvater zu sprechen, vielleicht sagt sie auch etwas zu ihrem Vater und zu Nazzareno, doch mit Letzterem hat sie ihren Gesprächsbedarf aufgebraucht. Sie sagt ja oder nein, und dafür genügt ihr im Allgemeinen eine Geste, ein Zur-Seite-Werfen der Strähnen; sie lächelt, und sie tut es so zurückhaltend und so elegant, wie im Schatten der Maestà manche alten kleinen Madonnen lächeln müssen, die von den besten Meistern aus der Versilia geschnitzt sind. Und sie verfinstert sich, und um das zu tun, braucht sie nichts, nur die Starrheit ihres Schweigens.
Das ist alles. Und ich kann sagen, dass ich mit ihr gesprochen habe, und zwar jedes Mal, wenn wir uns in Aristos Haus trafen, weil man sich bei uns ansieht. Bei ihr und Nita weiß ich es nicht; irgendwann haben wir alle zusammen begriffen, dass sie sich etwas absondern, aber vielleicht tun sie das nur, um sich in aller Ruhe anzusehen und auf diese Weise miteinander zu sprechen. Es ist bekannt, dass Ulisse sie zum Studieren ins Ausland geschickt hat und dass sie in ihrer Disziplin mehr als Doktor geworden ist. Mit dem, was sie gelernt hat, fängt sie aber nichts an, in Anbetracht dessen, dass man weiß, dass sie Expertin in Himmelsmechanik ist. Das sagt man nur, weil sie mit einem dicken Buch nach Hause gekommen ist, das sie ihrem Vater zeigte, damit er nicht dachte, er habe sein Geld zum Fenster
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