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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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sein. Die Sporne der Lanzen und der Peitschen der Legionäre nützten nichts, dem Unbekannten war es egal. In den Sack verheddert, des Großteils seiner Sicht beraubt, strengte sich der Unbekannte an, als wollte er mit dem Hebel seines Kreuzes die Straße umpflügen, das gesamte Dorf entwurzeln und es in die Nacht hinausschleudern. In diesem Moment herrschte Stille, jener stumme Waffenstillstand, den das Volk mit seinem Opfer schließt, wenn es an einer dieser großen Schwierigkeiten der Geschichte beteiligt ist, die es für sich selbst befürchtet und die es niemand anderem wünschen kann. Und in der Stille, während das gelbliche, unbeständige Licht der Fackeln die Anstrengung eines äußersten Versuches des Unbekannten flackernd beleuchtet, kommt aus dem Sack ein grässlicher, entsetzlicher und unmissverständlicher Fluch. Gewaltig und frisch, als wäre der Staudamm von Ponte unter dem Druck einer apokalyptischen Hochwasserwelle geborsten. Voll von einer unerhörten Folge von Adjektiven, von denen man nicht gewusst hätte, wie sie alle zusammen in eines Menschen Mund hätten Platz finden können. Definitiv in seinem Urteil, unwiderruflich in seiner Verachtung. Plastisch in seiner klaren Deutlichkeit.
    Und so haben wir im Unbekannten den Omo Nudo entdeckt. Es war seine im ganzen Tal bekannte Stimme; das unverwechselbare Timbre, mit dem er die Behörde anfuhr, die Beleidigung, mit der er sie zurückwies. An diesem Gründonnerstag gab es eine Diskussion zwischen dem Omo Nudo und seinem Gott, und es kam zu einem Ergebnis. Ich bin neben seinem Schatten aufgewachsen und wusste noch nicht, dass er einen Gott hatte. So wie ich nicht gedacht hätte, dass er in der Gestalt des Unbekannten eine Schuld zu sühnen hatte. In keiner Gestalt, würde ich sagen, denn der Omo Nudo ist unschuldig wie Wasser; so rein in seiner Unschuld, dass er meiner Meinung nach nicht einmal einen Gott nötig hätte. Und doch war er dort, um die höchste Strafe abzubüßen. Und das Verhängnis wollte, dass sein Kreuz stecken blieb, als wäre es nicht dazu bestimmt, ihn zum Golgatha zu begleiten, als ob es sich weigerte, die Anordnungen der Justiz auszuführen, so wie es der Omo Nudo und die Bruderschaft, die ihn des Martyriums für würdig befand, beabsichtigten. Gott selbst hat sich geweigert, Bresci zu kreuzigen, und versucht, es ihm auf die böse Art begreiflich zu machen. Und Bresci hat mit ihm gestritten, und er hat ihn zum Schweigen gebracht. Denn dann hat er es geschafft, das Kreuz aus dem Kanaldeckel zu ziehen. Und in der Stille, die nicht einmal durch die Kinder gestört werden konnte, und in der Dunkelheit der Fackeln, die die Nachtluft gegen die Steine der Mauern abschwächte und die aufflammen zu lassen die Legionäre keine Lust hatten, ist der Omo Nudo auf dem Gipfel der Festung angelangt und hat das Kreuz dort aufgestellt, wo es vorgeschrieben war. Doch keiner der Messner ist vorgetreten, um ihm den mit Essig getränkten Schwamm unter seine Verkleidung zu halten, und auch keine einzige alte Frau, um seine Strafe zu beweinen. Nichts lief so, wie es laufen sollte. Und das Volk kehrte nach Hause zurück im Bewusstsein eines Fiaskos, an das man sich noch jahrhundertelang erinnern würde. Und es wurde bekannt, dass der Prior der Bruderschaft geweint hat, vom Vorhang der alten purpurfarbenen Banner geschützt, die seine Schergen um ihn herum schleiften.
    Wir sind keine Tiere, daher wagte es am nächsten Morgen niemand, zu seinen Geschäften zurückzukehren, es sei denn mit gesenktem Blick und kurzen abweisenden Gesten. Den Omo Nudo hat man ein paar Wochen lang nicht mehr gesehen, doch das war zu allen Jahreszeiten seine Gewohnheit; es waren Tage der Rastlosigkeit in den Gärten und der Betriebsamkeit in den Schafställen, wenn die Jungtiere betreut und alles gesät werden musste. Er wurde gerade noch rechtzeitig zu Martas Beerdigung wieder gesehen; mit seinem überraschenden Vorschlag, mit seinem stillschweigenden Geständnis.
    Nur Nita ist vertraut genug mit ihm, um wenigstens einen Teil der Wahrheit über die Sünde des Omo Nudo zu kennen, doch sie hat natürlich keinen Grund, über diese Dinge zu tratschen. Obwohl sie nicht wenig spricht, nicht mit der Sparsamkeit, die wir von unseren Eltern ererbt haben und die wir eifersüchtig hüten, ist sie kein Klatschmaul, und sie redet nicht unmäßig in den Wind hinein; so wie sie Don Gigliante als Poeten schätzt, wenn er in der Laune für Komplimente ist und mit dem Einsatz seines harten

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