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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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seine harte Buße geschwächt, oder er dachte wirklich, dass er innerhalb von ein paar Jahreszeiten sterben würde. Die Santarellina sagt, dass es so ist. Da sie sich an sich selbst erinnert fühlt, als sie sah, wie sich der Tod zu Füßen ihres Krankenhausbettes niedergelassen hatte und sie nicht wusste, was sie zu ihm sagen sollte, sondern nur dalag und ihn betrachtete, um zu sehen, was er tun würde; an jenen Tagen zeigte sich ihr der Tod, der an ihrem Bett saß, als eine gelbe Hündin, die sie vor vielen Jahren hatte, als sie noch Vieh in den Bergen besaß. Doch damals war da noch die Duse, die der Hündin einen Stoß gab und sich an ihren Platz setzte, mit dem Stift und dem Heft, und darauf bestand, dass die Santarellina ihr ihre Romane diktierte; doch der Omo Nudo wollte keine Duse mit ihrem Stift um sich herum, jedenfalls vergaß er langsam seine Romane. Und in dem Moment hatte sie begonnen, die gelbe Hündin lieb zu haben, die wie zu Hause zwischen ihren Beinen schlummerte. Die Santarellina sagte auch, dass es die Männer sind, die sich besser an den Tod anpassen, und dass die Duse und sie Hunderte davon mit den gleichen Augen gesehen haben wie der Omo Nudo in diesen Tagen, mit den gleichen Worten und der gleichen Hündin um sich. Und sie waren von zwanzig Jahren aufwärts körperlich so stark wie Ochsen und im Herzen gebrochen wie von Raupen ausgehöhlter Wirsingkohl.
    Es waren welche von denen, die nach dem Krieg am Leben geblieben waren, von denen, die an dem hängen blieben, was man gesehen hatte, und es gab keinen Weg, sie von dort wegzubringen. Die Santarellina erzählte mir von der Zeit, als die Duse sich ihr Geld mit dem Akkordeon verdiente, und wie es war, als sie mit ihr ging. Es war ja direkt nach dem Krieg, dass die Duse sich etwas einfallen lassen musste, um Brot und etwas dazu zu finden; als sie nach Lucca zurückgegangen war, um ihr Lehrerdiplom zu erwerben, und ich geboren wurde und zur Hälfte von ihr und zur anderen Hälfte von Martas Ziege ernährt wurde. Und ich wuchs heran, sagte die Santarellina, fröhlich wie ein Fink und dick wie ein Regenwurm vom Misthaufen. Abends ließen sie mich in der Osteria del Ponte, wo ein Mädchen bediente, das wusste, wie es auf mich aufpassen musste, und zogen los, die Duse mit dem umgehängten Akkordeon und die Santarellina mit der Hippe im Bündel, das sie sich über den Rücken band. Sie gingen in alle Häuser, in denen eine Abendgesellschaft war, und die gab es auch in den höchsten und abgelegensten Bauernhäusern, denn die Menschen wollten so viel wie möglich feiern und tanzen. Es herrschte eine Tanzwut, wie man sie nie zuvor gesehen hatte. Dafür genügte eine Hochzeit oder die Auskörnung des Mais, die Novene des Namenspatrons, eine Rückkehr aus Russland, der Ostermontag oder auch schon eine Verlobung. Sie feierten und tanzten vom Dunkelwerden an und manchmal bis in den Morgen hinein, alle, nachdem sie auch am Sonntag gearbeitet hatten. Und so brauchten sie Musik, gute Musik, die zum Tanzen anregte, was damals rar wie Gold war. Und die Duse passte perfekt: Sie war die einzige Musikerin, die die ganze Kriegszeit über nie aufgehört hatte zu spielen. Sie hatten sie gehört und ihre Tangos gingen von Mund zu Mund, sodass sie überallhin gerufen wurde. Das Gerücht besagte, dass sie die Tangos auf eine Weise spielte, dass die Mädchen durcheinandergerieten und den Männern fixe Ideen kamen; die Mädchen fingen an zu weinen und die Kavaliere konnten hier und da drücken, ohne sich Ohrfeigen einfangen zu müssen.
    In jenen Tagen war die Jugend froh, zu Tränen gerührt zu sein und gedrückt zu werden. Und doch gab es welche, und es waren fast immer Männer, die an der Wand lehnten, hinten am Platz saßen, den ganzen Abend über ein Glas in der Hand hielten, und sich den Anschein gaben, als wüssten sie, was zu tun und nicht zu tun wäre; und zu denen von Kühen sprachen, die von Liebe sprechen wollten, und sich hinsetzten, um die Musik zu hören, und dabei auf die andere Seite, in die Dunkelheit schauten. Diese, so sagt die Santarellina, spazierten herum mit ihrer Hündin am Hintern, und nicht einmal das Akkordeon der Duse konnte sie eines Besseren belehren. Und sie waren bei den anderen und machten alles, wie es sich gehörte; doch dabei zehrten sie sich auf, als hätten sie im Körper noch Glut dieser Phosphorbomben, die sich festsetzen, ohne dass man es bemerkt, bis nur noch schwarze, glühende Kohle zurückbleibt.
    Also, sagt die Santarellina, die

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