Himmelsmechanik (German Edition)
niemand hingeblickt hat, anders dachten, in einer anderen Zeit. Und sie sind hier, um das zu tun, was man ansonsten bei mir zu Hause, im Hause dessen, den sie lieben, nicht tun könnte. Und ich sehe, dass es zwei sind. Und ich begreife, wenn es nur eine wäre, wenn nur Nita da wäre, könnte ich denken, ich hätte es falsch verstanden, aus allzu großer Erwartung missverstanden. Aber wenn es zwei sind, in Anbetracht dessen, dass es mindestens zwei sind, müssen sie eine Tatsache sein. Es gibt Leben auf diesem Planeten, es herrscht Ordnung in seinem Machtbereich, und es gibt einen Grund zu hoffen, dass dieses Tal nicht nur der Traum ist, der mich sogar wach hält, wenn ich schlafen will, sondern auch ein guter praktischer Grund.
Deshalb bin ich stolz, nicht bis ins Kleinste zu wissen, wer Nita ist, und ich hoffe, sie in Frieden zu lassen, lange bevor ich es für notwendig halte, es zu wissen. Ich bin stolz auf mich, dass ich ihr sagen konnte, dass sie bleiben soll, ich bin stolz auf sie, die größer als mein Wille und mein Wissen ist. Ich kenne auch Malvina nicht, und ich weiß, dass es hier und da im Revier noch andere Leute gibt, die ich nicht kennenlernen kann. Und ich sehe in meinem Unwissen eine gute Nachricht, bestimmt die beste, seitdem unsere Verstreuten anfingen zurückzukommen. Wenn es nicht so wäre, dass man am Weihnachtsabend Schweineknochen kochen und darum eine Feier abhalten würde, dann wäre es nur eine idiotische Geschichte.
Von denen, die in die Luft geflogen sind
Nita denkt, dass sie um Mitte August herum entbinden wird. Inzwischen ist ihr Bauch rund und prall wie eine Septemberfeige, eine von denen, die sich, kaum dass du sie anfasst, um sie vom Ast zu lösen, zwischen den Fingern öffnen und auf deiner Handfläche diesen süßen Zucker ausbreiten, dass es dir die Zähne zusammenklebt, wenn du sie nur riechst. Mittlerweile sind ihre Brüste morgens schon so dick und weich, dass ich Angst habe sie zu zerquetschen, wenn ich sie nur leicht berühre; so habe ich gelernt, sie anzufassen, wie man neugeborene Küken anfasst: die Hand wie ein Kelch, aber mit geöffneten Fingern, damit sich das weiche Fleisch formt und atmet. Die Ungeborene kümmert sich fast die ganze Nacht um ihre Mutter, und ich höre sie miteinander reden. Und manchmal gehen sie hinaus in die Dunkelheit, und man muss sich fragen, welche von beiden der anderen beibringt, wie man sich bewegt, wenn die Lichter aus sind und draußen im Junineumond nur Jupiter einen winzigen Weg weist.
In diesen Nächten kommt es vor, dass sie bis zum Nussbaum gehen; um das zu bemerken, muss ich nicht einmal aufwachen, es genügt, wenn ich im Traum das leichte, hartnäckige Rascheln der Blätter höre, die ich unter dem Stamm gesammelt habe, wie sie vom Gewicht von Nitas Hintern zusammengedrückt werden. Und wenn ich zufällig wach werde, dann sehe ich sie vom Fenster aus, den Rücken an die auch im Dunkeln helle und leuchtende Rinde gelehnt, und ich höre, dass sie mit den Hexen sprechen. Die Ungeborene wird sich mit ihr einigen müssen; und auch in diesem Fall weiß ich nicht, ob es die Mutter ist, die ihr das Geschäft beibringt, oder ob die Ungeborene ihr erklärt, wie man es besser macht.
Sie wird an Mariä Himmelfahrt entbinden, sagt Nita, und in der Zwischenzeit trifft sie die letzten Abmachungen mit dem Omo Nudo über das Gepäck, das sie für ihre Reise nach Valençay mitnehmen sollen. Sie wird diese Reise unternehmen, auch wenn sie ihre Tochter unterwegs gebären müsste, und womöglich wird das auch passieren: Wie vereinbart werden sie die Gedenkstätte des Freundes William Grover-Williams besuchen, doch womöglich wird der Omo Nudo, wenn er schon dabei ist, Europa im Coupé besichtigen wollen, und sie wird es ihm zeigen.
Sie und ich haben darüber gesprochen. Sie denkt, wenn sie aus irgendeinem Grund auf die Welt gekommen ist, dann gewiss nicht, um Kinder zu bekommen, wie es ihr passt und gefällt. Sie denkt, dass die kontinentalen Transportsysteme dem Omo Nudo sehr viel schulden, und dass der Moment gekommen ist, ihn dafür zu entschädigen. Auch weil er schon in die Jahre gekommen ist und ihm das Leben wohl kaum noch einmal einen milchkaffeebraunen Karmann und einen Fahrer zur Verfügung stellen würde. Sie denkt, dass Schulden immer auf die eine oder andere Weise getilgt oder wenigstens ausgeglichen werden müssen. Sie denkt, dass Bresci sie darum bitten kann, sich im Coupé jeden Weg entlang kutschieren zu lassen, den er gerne
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