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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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etwas davon für eine Reise voller körperlicher und geistiger Unsicherheiten zu berücksichtigen.
    Bresci wird Ermidios wunderbare Blutwurst essen, das ist sicher. Aber wenn die Fahrt wundersam und intensiv genug sein wird, wie er es sich vornimmt, habe ich den begründeten Verdacht, dass Nita an einem bestimmten Punkt so fern von allem und ausgehungert sein wird, dass sie versucht ist, sich ein Stück zu nehmen und es sich schließlich in den Mund zu stecken, und froh ist, es zu haben. Und dort, wo sie sein wird, im fetten, regnerischen Flandern oder in der süßen Hitze einer trägen Rheinschleife, weiß sie dann, dass sie nun bereit ist zurückzukehren, noch etwas weniger fremd, als sie aufgebrochen ist. Und so geschieht es auch.
    Jedenfalls sind sie weggefahren, vergnügt wie Kinder, der mitleidvolle Königsmörder vor Schweiß und Eitelkeit triefend, die Fast-Wöchnerin unerschrocken über das Lenkrad gebeugt, mit unbeschreiblich voller Brust und vollem Bauch. In der Nacht ließen sie hinter dem Coupé eine leuchtende Spur flüchtiger Freude zurück; und diese Freude spürtest du, wie sie dir ins Gesicht zwickte, während sie auf der Straße herumwirbelte wie Konfetti an Karneval. Sie haben keine Karten geschickt, und das ist normal.
    Und inzwischen ist es Juli geworden und dann voller Juli, und die Hitze begann, langsam und minutiös, unsympathisch wie eine Hautkrankheit, aus den Ebenen von Lucca heraufzusteigen. Nicht mehr von den nördlichen Strömungen gezügelt, kommt von den Gebirgskämmen des Ostens mit dem Abendnebel die Meeresluft. Und die Menschen beginnen sich aufzuregen, sich abzulenken und sich zu ärgern und sich auch im Schatten der Kastanienbäume schlecht zu fühlen. In diesen Tagen lässt man die Arbeit auf dem Feld sein und verschiebt sogar das Mähen; doch jeder für sich, als wäre es nicht erlaubt, quält sich vor Lust, die ihn packt nach diesem Meer dort.
    In diesen Tagen, in diesen paar Wochen, die in den ersten Augustregen zu Ende gehen, packt uns eine Sehnsucht nach hohen Wellen und frischer gekräuselter Gischt, eine Wut darauf, nicht mittendrin zu sein, um unterzugehen und wieder aufzutauchen und wieder unterzugehen und dann nackt und gekonnt in der Ferne zu treiben, dass man von einer fernen Zeit zu plaudern anfängt, in der das Meer uns gehörte, und von der Ungerechtigkeit, die es uns weggenommen hat. Dann gehen wir alle los, um es zu suchen; mit einer Gier, einer Lust von Tieren, die die Brunst wittern, wie beim ersten Keimen die Raupen sich in einer Reihe aufstellen, um die neuen Baumkronen der Pinien zu verschlingen. Auch darin gibt es Riten, Bräuche, Gewohnheiten.
    Die Mädchen nehmen Züge und Busse, Motorroller und FIAT Pandas und verschwinden in die Versilia. Um sich feuerrot färben zu lassen von der Sonne, die sie zu Hause nervt, im Trüben der Strandlinie herumzuplanschen, zufrieden wie Königinnen im Milchschaumbad; um hinter dem Rücken ihrer stolzen Tugend mit Banden von Küstenbewohnern, angeblichen Bademeistern, anzubändeln. Von ihnen wollen sie ins offene Meer schwimmen lernen und scheinen, in unvorsichtigen Augen, zu allem bereit. Diese warten auf sie am Durchgang, als – wenn ihre Väter es ihnen beigebracht hätten – würden sie einen Zug Thunfische erwarten, wobei sie sich auf das verbreitete Märchen von einer besonderen, fügsamen Laszivität verlassen. Sie, unsere berühmten Mädchen, verschlingen sie roh und ganz wie sie sind; und abends, noch bevor sie sich auf den Nachhauseweg machen, haben sie sie schon wieder ausgespuckt, mit Kaugummi an die Parkscheinautomaten der kostenpflichtigen Parkplätze, unter die Barhocker der Eiscafés, an die Pfähle der Bushaltestellen geklebt.
    Die Jungen, die noch weniger als ihre Schwestern im offenen Meer schwimmen können, fahren in schreckenerregenden geschlossenen Motorradformationen und streben in endlosen Reisen nach Ligurien; sie halten an jeder Stelle, Parkbucht oder Minibar, um zu trinken, zu essen, zu rauchen und sich untereinander Mut zu machen. Sie kommen rechtzeitig, um mit ihren aufs Geratewohl zu Hause eingesteckten Handtüchern und ihrem plumpen Geschrei die Felsen und schmalen Strände dieser Orte zu belegen. Und sie stürzen sich ins Meer, um dann zaghaft und gemessen wie Stelzvögel im Sumpf dort herumzustehen und sich eine Stunde lang, höchstens zwei, gegenseitig nass zu spritzen; denn dann sind sie von der Sonne, den Kindereien und dem wenigen Platz genervt. Die deutschen Mädchen fressen sie

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