Himmelsmechanik (German Edition)
sein Geruch und der nach schlecht gewordener Milch; vielleicht roch es nach dem Käser, vielleicht nach seinem Käse. Morgens holte die Duse mit dem Hund Wasser aus einer Quelle, die im Winter zufror. Sie ging im Dunkeln, ohne ihre Karbidlampe, denn um dort hinzukommen, musste sie nur dem Hecheln des Hundes folgen. Dann zündete sie den Ofen an, um das Wasser zu erwärmen und sich zu waschen. Der Hund sah ihr zu, wenn sie sich mit nacktem Oberkörper die Achseln einseifte und in einem Becken neben dem Ofen die Scham wusch, und knurrte bei allen Geräuschen, die aus dem Wald kamen und die die Duse nicht hören konnte. Manchmal, wenn sie sich auf den Unterricht vorbereitete, weinte die Duse vor Sehnsucht und dachte an ihren Sohn, den Verfasser, und an die Santarellina, die ihn gerade aufweckte. Dann kamen die Schüler, und sie hatte keine Zeit mehr, weder für ihren Sohn noch für sonst etwas.
Schüler hatte sie manchmal fünf, manchmal zwanzig, manchmal keinen: Das hing von der Jahreszeit ab, davon, wie die Kastanien- und die Heuernte ausfielen, die Diphtherie und der Scharlach, die Schulden und die Verdienste. Es spielte keine Rolle, ob ein halber Meter Schnee lag oder der Berg abgerutscht war, denn das waren Dinge, die die Schüler nicht erschreckten; sie hatten vielmehr Angst vor den Krankheiten ihrer Brüder und den Schulden ihres Vaters. Um zur Schule zu gehen, brauchte es nur ein Paar Schuhe und ein Bündel für die Vesper und ein Heft, und diese Dinge hatten mehr oder weniger alle. Und sie widmeten sich dem Lernen an der Wärme des Ofens mit dem Geruch nach Molke, der ihren Schweiß überdeckte, und dem Hund, der an der Schwelle winselte. Sie büffelten und büffelten und lernten wenig, denn sie hatten andere Gedanken im Kopf, und mancher von ihnen war schon aus dem Haus gegangen, wenn die Duse noch Wasser holen musste. Und er hatte unterwegs begonnen, sich seltsame Gedanken zu machen, die er dann mitschleppen würde den lieben langen Tag und die Nacht, und vielleicht sein ganzes Leben lang.
Die Duse dachte das, denn wenn sie später einen als gestandenen Mann wiedertraf, erkannte sie in seinem Blick die Zerstreutheit des Schülers. Und sie versuchte, sich ihre Gedanken erzählen zu lassen, doch die Kinder wussten nicht, wie sie sie erklären sollten, und versuchten, sich aus der Affäre zu ziehen, indem sie mit dem Geist des einen und dem Geist jenes anderen, mit Hexen und Zwergen weitermachten und sich in den Wörtern verhedderten, bis sie zu stottern begannen. Da blieb ihnen schließlich nichts anderes übrig, als über sich selbst zu lachen. Aber die Duse tat jeden Tag ihre Arbeit, als wären sie alle Kinder des Königs. Und sie war Monarchistin, das weiß ich. Sie stürzten sich auf ihre Hefte mit Händen, die schon voller Schwielen und Risse waren, sie bemühten sich sehr, keine Tintenflecke zu hinterlassen, die Zunge vor Anstrengung zwischen den Zähnen herausgepresst, und sie bekamen Appetit. Während die Kinder ihre Kastanienpolentascheiben aßen, aß die Duse ihr Brot mit Käse, denn Kastanien schlugen ihr auf den Magen; der Käse, den sie beim Käser kaufte, war kaum mehr als Buttermilch. Nur selten schaffte sie es, sich einen schönen reifen und anständigen Käselaib geben zu lassen, als ob dieser bösartige, dumme Käser dem Wert des Geldes nicht traute, das sie ihm gab; wenn sie einen fand, dann bewahrte sie ihn auf, um ihn am Samstag mit nach Hause zu nehmen und ihn mit ihrem Sohn zu essen.
Wenn die Frühstückspause kam, mussten ihre Schüler die Zeit nutzen und auf der an der Wand aufgehängten Landkarte so viele italienische Städtenamen wie möglich lesen. Keiner von ihnen kannte auch nur einen einzigen, außer Rom und Florenz vom Hörensagen. Es war wahrscheinlicher, dass sie zu Hause von Newcastle oder London, von Melbourne, von Glasgow hörten, wo sie Verwandte hatten und früher oder später gedachten, dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wie es sich gehört. Deshalb bestand die Duse darauf, sie die italienischen Städte auswendig lernen zu lassen, und erzählte ihnen in den kleinsten Details davon: damit sie sich ihnen einprägten und sie sie nicht mehr vergessen konnten, auch nicht, wenn sie für den Rest ihres Lebens am anderen Ende der Welt nagelneue Städte bauen würden. Damit es ihnen gut in den Kopf ging, dass all diese Städte ihr Land waren und sie die Pflicht hatten, sie auf Fingerzeig zu kennen, und das gute Recht, überall hinzugehen, als Herren ihres Landes.
Der
Weitere Kostenlose Bücher