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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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Käser verkaufte ihr den Käse, aber nur den und etwas Milch für den Morgen; den Rest brachte sie sich von zu Hause mit, und das Brot und den Speck und den Dinkel und das Nötige für die abendliche Suppe ging sie in den Bauernhäusern kaufen. Dabei führte sie auch die Elterngespräche über die schulischen Leistungen der Kinder. Die waren nicht besonders, aber es sollte doch etwas Nützliches dabei herauskommen; wenigstens so viel, dass es eines Tages reichte, um mit einem Arzt oder einem Gutsbesitzer sprechen und einen Brief unterschreiben zu können, ohne sich zu schämen. Vielleicht noch eine Zeitung zu lesen, um zu wissen, wie sich die Welt dreht. Sie sagte diesen Menschen, die schon voller Ängste waren, nicht, dass sie darauf hoffte, dass deren Kinder dank des unschätzbaren Geschenks des Wissens sich mit den seltsamen Gedanken abgeben könnten, die sie bestürmten, ohne von den Geistern und Hexen zu schwätzen. Sie erklärte diesen vom Hunger geplagten Menschen nicht, dass ihre Kinder die schönsten Gedichte der italienischen Sprache auswendig lernen mussten, um Wörter mit nach Hause zu nehmen, die man auf den Feldern und in den Wäldern nicht hörte und die vielleicht nicht einmal die Gutsbesitzer so gut kannten, wie sie vorgaben. Die Duse bestand nur darauf, dass sie sie zur Schule schickten und dass sie ihnen etwas Ruhe gönnten, damit sie nicht schon müde dort ankamen. Wenn sie denn kommen konnten.
    Ich wusste nicht, dass meine Mutter schön war, solange sie es mir nicht selbst gezeigt hatte; ich dachte nur, sie sei mutig und stark und selbstbewusst. Aber sie hatte noch ihre langen, lockigen Haare, als sie in die Schule der Capria ging, und sie ließ mich mein Gesicht hineinstecken, wenn sie zurückkam und sie löste, bevor sie sich waschen ging. Sie rochen nach dem ganzen Gestank ihrer Arbeit, und wenn wir uns zum Abendessen hinsetzten und sie mir zu erzählen begann, was sie getan und wen sie gesehen hatte, kannte ich bereits den Geruch von all dem. Ihr Geruch missfiel mir nicht, und weil sie mich daran schnuppern ließ, glaube ich, dass er auch ihr nicht missfiel. Vielleicht hatte sie oben in den Bergen Sehnsucht nach mir, und sie freute sich, dass ich alles aus ihrem Leben kannte, einschließlich des Gestanks, dass ich nicht zu viel von ihr hatte. Nach dem Abendessen gingen wir in das Zimmer mit dem Sofa, setzten uns an den Tisch, und sie fragte mich ab. Und am Montagmorgen im Dunkeln brach sie wieder auf.
    Was denkst du, wenn du an deine Mutter denkst? An nichts als an Besitznahme und Verlassensein, an Sklaverei und Revolte; die unabwendbaren Dinge, die die Liebe betreffen. Die Duse und ich hatten die Möglichkeit gehabt, tiefgehend über die Dinge nachzudenken, an den beiden Tagen, die ich mit dem Kopf draußen und den Beinen drinnen in ihrem Bauch zubrachte. Sie erzählte mir, und ich war inzwischen schon ein gestandener Mann, als sie das tat, dass sie sich 48 Stunden lang unter Wehen abgemüht hatte, mich zu gebären. Ich habe mich abgemüht, so sagte sie, zu versuchen am Leben zu bleiben, ohne dass du stirbst. Und du hast dagegen angekämpft, und die Hebamme hat mich geohrfeigt, damit ich nicht ohnmächtig einschlafe. Sie betete zur heiligen Anna und brüllte mich an, als wäre ich eine Mörderin; als ihr die Stimme ausblieb, steckte sie ihren Kopf zwischen meine Beine und flüsterte dir zu. Sie wollte dich überzeugen, denn sie war sich sicher, dass du auf keinen Fall auf die Welt kommen wolltest, und dass wir sterben, du, ich und sie. Sie vor Scham, in ihrer fehlerfreien Karriere zwei Tote hinterlassen zu haben.
    48 Stunden halb erstickt, blau angelaufen und am ganzen Körper angeschwollen, und die Duse und die Hebamme, die darüber diskutierten, was ich zu meinem Wohl tun sollte; und ich war noch keinen Tag am Leben. Und sie konnten sprechen, ich aber nicht. Sie erzählte mir, was Wehenschmerzen sind, was ich nie wissen werde.
    Was sie mir nicht sagte, ist, wie sehr sie mich an diesen beiden Tagen verflucht hat; sie erging sich in entsetzlichen Einzelheiten über die Menge an Kraft, mit der sie wollte, dass ich geboren würde, schwieg aber darüber, wie sehr sie mich gehasst hat, weil ich es nicht konnte, ohne sie vor Schmerzen fast sterben zu lassen.
    Was ich ihr damals nicht hätte sagen können, ist, wie sehr ich sie gehasst habe, als ihre Scheidenmuskeln mich erdrückten. Es ist nur eine Frage von verzeihlichen verbalen Unterlassungen: Was es zwischen uns an Definitivem zu wissen gab,

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