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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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sie lebten als Waisen, die sie waren, in einer Villa, zehn Minuten mit der Kutsche vom Ponte und der Osteria entfernt. Und als der Dichter starb und seine Schwestern als Waisen und Italien und die Poesie verlassen zurückließ, war es der einstimmige Wunsch aller, dass die Kutsche auf ewig im Hof der Osteria der Ghetti abgestellt würde, da sie nur für diese Strecke und dieses Ziel gekauft und benutzt worden war.
    Das ganze Volk liebte den Dichter, so wie kein anderer Dichter je von Schmieden und Bauern geliebt wurde. Es war ein verwaistes Volk, dieses Volk Italiens, und es wusste es zu schätzen, wie einer von ihnen emporgestiegen war, ohne deshalb ihre tiefsten Schmerzen als Geknechtete zu vergessen. Als Waisen wussten sie, wie wohl eine Flasche Wein tat, und sei er auch nur mittelmäßig, wenn man ihn nur mit eine manderen trank, der wusste, wovon die Rede war, wenn man ein Glas in einer kirchlichen Stille nachfüllte. Die Lehrerin Duse kannte das Verwaistsein Italiens und pflegte das Andenken seines Dichters mit unendlicher Hingabe; sie fand es schicksalhaft, dass er es sich ausgesucht hatte, in diesem Landstrich zu leben, der verwaister als jeder andere war, und auf tragische Weise poetisch, dass er beschlossen hatte, am Wein aus dem Gasthaus ihrer Familie zu sterben. Vielleicht war ihrer Hingabe eine spionierende Absicht nicht fremd, Tatsache ist, dass sie mich, bevor ich der Lehrerin anvertraut wurde, die der Staat für mich ausgewählt hatte, bereits ihre bekannte Geschichte und ein Dutzend Gedichte hatte auswendig lernen lassen. Das setzte mich in großes Erstaunen. Wie konnte ich denken, dass es jemals andere Kinder gegeben hatte, die der Poesie so nahe waren wie ich? Sie erzählte mir, dass sie jenen inzwischen schon alten Valentino gekannt hatte, der barfüßig herumlief; der neu eingekleidet war wie die Sprösslinge des Weißdorn, der zum berühmtesten Fischer von Perlfischen in der Erinnerung des Reviers wurde.
    Ich habe nicht vergessen, mit welcher Freude sie von diesem Mann sprach, die Röte, die sich über ihr Gesicht verbreitete, wenn sie ein Gedicht von ihm rezitierte; und zwar nicht, weil der Dichter ihre Mutter auf seinem Schoß gehabt, und auch nicht, weil sie selbst seiner todkranken Schwester heimlich etwas zu Rauchen besorgt hatte. Ich weiß nicht, ob mir heute die Gedichte gefallen, die ich gelernt habe, jedenfalls gefielen sie mir nicht besonders, als die Duse sie mir samstags und sonntags vor dem Abendessen einbläute. Aber es stimmt, wenn mir eines in den Sinn kommt, in dieser Zeit, in der ich mich endgültig und vollständig als Waise fühle, dann bin ich gerührt; zu Tränen gerührt, wage ich ohne Scham zu sagen. Und ohne Scham rezitiere ich Nita diese zwei, drei Verse des Gedichts, das mich schon als Kind zum Weinen brachte; und die Duse wusste, dass ich weinen würde und rezitierte sie mitleidvoll mit mir, damit ich das Leid, das sie mir auferlegte, geteilt spüren konnte:
    Für immer heißt sterben … ja: am Abend sich schlafen legen: so bleiben und sich nicht regen
. Ich sage ihr diesen Stummel Poesie im heiligsten Moment des Verlassenseins auf, wenn sie, ihr Buch des Tages auf den Boden gelegt, dort auf dem alten Backsteinboden voller Ritzen, aus denen sich nachts die kinderreichen Familien der Küchenschaben emsig erheben werden, sich in ihren Schoß zusammenkauert und den leichten Atem des Schlafs einatmet. Bereits da, am Ort ihrer unvermeidlichen, unverletzlichen Intimität, wo der Poet der Waisen Italiens nicht einmal als Verdacht eindringen dürfte. Sie hört es oder hört es nicht.
    Und also brachten wir sie nach Castelvecchio, zusammen mit dem Fahrer im Mercedes Benz mit dieser obszönen silberblauen Farbe, die bei Leichenzügen üblich ist; die Santarellina in der Mitte, als wäre sie ein Mädchen, das in seiner Bestürzung mit den Fensterkurbeln oder dem Türgriff eine Dummheit anstellen könnte. Doch sie weinte nicht und schien auch nicht zu leiden; und sie betrachtete uns, mal den einen, mal die andere, genau wie es Kinder tun, wenn sie erwarten, dass die Erwachsenen etwas aushecken. Und sie lächelte ihr übliches höfliches Lächeln mit zusammengepressten Lippen und weit offenen Augen; denn auch das ist ein Kinderlächeln, das alles sieht, alles Mögliche, von etwas weiter vorn, von einem Punkt, wo das, was geschieht, schon vorbei ist und von wo man sich von dem, was kommt, nichts Gutes erwartet. Ansonsten wären die Kinder zu schwach und könnten wegen nichts

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