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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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nur etwas gehabt hätte, um zu sagen: Vielleicht würde ihr das so gefallen; wäre sie etwas weniger undurchdringlich gewesen, etwas weniger die Duse, hätte ich sie einäschern lassen und sie auf die Pania gebracht, um sie dem Mann, der sie gehabt hatte, hinterherfliegen zu lassen. Dem Mann, den sie wollte, wie auch immer die Dinge gelaufen sind. Und ich wäre Präsident Obama um einiges voraus gewesen, zum Beweis dafür, dass wir nicht so rückständig sind, wie wir genannt werden.
    Aber die Duse ist die Duse, und du kannst sie nicht dem entziehen, was sie sein will. Du kannst sie weder ihren Schülern, den Kindern, deren Müttern und Ehefrauen und Großeltern wegnehmen, die immerhin alle ihre Schüler gewesen sind oder dabei sind, es zu werden und wieder zu werden. Und jeder von ihnen machte Vertrautheitsrechte geltend und behauptete, die Pflichten der Dankbarkeit einzulösen. Und vor allem hätte ich sie der Santarellina nicht wegnehmen können, die sie nur überlebt hatte, um ihr noch beizustehen. Und so bekam sie ihr Begräbnis in großem Pomp, mit dem Erzpriester, den Diakonen und Messdienern, mit der großen Musikkapelle aus Schülern: einhundert Blechbläser, mit der Kraft des Blasens seit 1848. Sie bekam die Messe und Tränen, Schluchzer und Kronen, eine schöne Predigt und den Trauerzug.
    Ich bat nur darum, als äußerstem Willen des Erben, dass ich sie bitte wenigstens am Ende allein loswerden durfte. Nur ich und die Santarellina und Nita. Sie, die die Duse nie kennengelernt hat, freundete sich an jenem Tag mit der Santarellina an und lernte sofort, wie man sie eng umschlingen konnte, ohne diese alte Frau zu zerbrechen, die etwas mehr als einen Meter groß war und etwa dreißig Kilo wog, und von diesen dreißig bestand mindestens eines aus scharlachroter Farbe für die Haare.
    Von allen Friedhöfen, die sie gewollt und sogar verlangt hätten, wählte ich für meine Mutter den von Castelvecchio aus; dort gab es noch Erde und der Wärter hatte nichts gegen die Forderung einzuwenden, auf ihr Grab etwas von ihrem Tropengarten zu pflanzen: Auch er war ein ehemaliger Schüler. Wenn ich gewollt hätte, dann hätte ich vielleicht herausfinden können, auf welchem italienischen Friedhof ihre Familie gelandet war; ich hätte die Duse ihrer Familie übergeben können, und wenn man es genau bedachte, hätte sie das angesichts ihrer konservativen Natur vielleicht gewollt. Wäre sie nur etwas weniger unaufmerksam bezüglich der Vergänglichkeit ihres Fleisches gewesen, hätte ich von ihr ein Zeichen bekommen, irgendein Wort, eine Anweisung, um mich davon zu befreien, für sie entscheiden zu müssen. Eine vollkommen unnatürliche Position: Wann entscheidet der Sohn für seine Mutter, außer, um sich der Lächerlichkeit preiszugeben?
    Da ich nur das weniger Falsche tun durfte, wählte ich den Platz aus, der der Santarellina am besten gefiel; vielleicht weil sie dort jemanden hatte, vielleicht weil er gut gepflegt war, gewiss, weil er in der Nähe ihres Hauses war, sodass sie, wenn sie etwas Zeit hatte, wusste, wo sie sie verbringen konnte. Und dann, trotz des ganzen Widerwillens, den der Umstand des Begräbnisses mit sich gebracht hatte, könnte ich nie die Geschichte vergessen, die mir die Duse erzählte, als sie als Kind jede Woche ein Bündel Toscano-Zigarren brachte, die die kleine alte Frau aus Castelvecchio gerne rauchte.
    Was ein heikler und geheimer Auftrag war, denn das verschrumpelte und im Blick und Benehmen bösartige Weiblein war niemand Geringeres als die letzte lebende Schwester des großen italienischen Dichters Giovanni Pascoli. Der besagte große Poet gehörte zur Familie der Osteria del Ponte, als ständiger Trinker, bis er am Wein erkrankte und dann starb. Das besagte Wirtshaus war seinerseits im Besitz der Ghetti, der Familie der Duse. So spielte Duses Mutter, mit dem schönen Namen Amelia, als kleines Mädchen auf den Knien des Dichters, als wäre sie seine Tochter. Und sie weiß noch, dass er ihr selbst wie ein kleines Kind vorkam, vor lauter Hätschelei und kleinen Versen, wenn er mit ihr spielte:
Amelia, Amelia
, sang er ihr vor,
süß bist du wie die dornige Rose, flieh mit mir, mein kleiner Schelm, denn jetzt löse ich dir den Zopf
. Und wie er sie dann erschreckte, wenn er sich, einem Dämon aus der Hölle gleich, beim Kartenspiel mit seinen Freunden, den Fuhrleuten und Republikanern, zum Fluchen hinreißen ließ. Übrigens hatte der Dichter keine Kinder, nur zwei heißgeliebte Schwestern, und

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