Himmelsmechanik (German Edition)
formulieren und, wehe mir, äußern über meinen Vater, über sie selbst, über mich, der ich durch sie auf die Welt gekommen war, und die Nase in diese Liebe stecken, die mir zu erzählen sie sich bereit machte. Keinen Laut. Nicht, während sie mit mir sprach – und als sie es tat, war ich ungefähr neun Jahre alt –, und nicht, wenn aus mir ein Mann geworden wäre. Dann, als Mann, würde ich vielleicht besser verstehen, doch schon damals, auf dem Sofa mit den Sprungfedern, vom grünen und blauen Licht der Glasblume über dem Sofa beleuchtet, vertraute sie darauf, dass mich nichts daran hindern würde, das Wesentliche, das, was wirklich zählte, zu begreifen. Weil ich eine Seele hatte, und die Duse hegte ein absolutes Vertrauen in ihre Vernunft, obwohl sie wusste, dass die Seele eines Kindes wie die eines Kaisers nur ein schweifendes, schmeichelndes Seelchen war. Genau das sagte sie mir, während sie mir leicht den Arm drückte, damit ich mich umdrehte und ihr in die Augen sah: mein schmeichelndes Seelchen. Und sie scherzte nicht.
In diesem Punkt, bei der Einhaltung der Vorschrift, Liebesangelegenheiten nicht zu beurteilen, konnte ich mein ganzes Leben lang disziplinierten Gehorsam bewahren; um unnötigen Versuchungen aus dem Weg zu gehen, habe ich es, nur für den Anfang, vermieden, das Wort selbst auszusprechen. Ich habe nie Liebesansprachen gehalten. Auf diese Weise habe ich mir auch erspart, welche anzuhören, da niemand Lust hat, sich hinzustellen und zu jemandem von Liebe zu sprechen, der, wie er weiß, nicht beabsichtigt, den Gefallen zu erwidern. Natürlich glaube ich an die offensichtliche Existenz der Liebe, an ihre konkrete Notwendigkeit und an ihre ungeheure Kraft: Meine Mutter wollte mir zeigen, dass sie dafür ein erdrückender Beweis war. Hätte ich nicht Gewissheit bezüglich der Liebe gehabt, so hätte ich sie tödlich verraten, aber ich wäre jetzt bestimmt nicht hier, bei dieser Frau, die unbekümmert über die Verbote überall in Wort und Tat Liebe verbreitet. Und wenn Verbote an Wirkung verlieren, verlieren sie schließlich auch ihren Sinn; sodass ich, alt genug, um mir zuzugestehen, dass ich ein Mann unfehlbarer Prinzipien bin, nicht nur entdeckte, dass ich dachte, sie zu lieben, sondern mich auch dabei überraschte, es ihr zu sagen, vielleicht in einem Moment mangelnder Wachsamkeit.
Jetzt ist sie dort, im großen Zimmer, und liest. Ich weiß, wie: Sie sitzt zusammengekauert auf einem dieser kleinen Korbsessel voller Splitter, die wir diesen Sommer auf den Hof hinausgestellt haben, unter den Hintern hat sie sich ein Kissen geschoben, um sich den Rock nicht zu ruinieren. Ihre Aktenmappe von der Arbeit liegt noch hingeworfen auf dem Boden, und, ich würde schwören, ihre Polarforscher-Windjacke zusammengeknüllt auf der Mappe. Ich hörte sie kommen, ihre Sachen hinwerfen, sich in der Küche ein Glas Wasser holen – das gibt ein Geräusch wie von einem Wasserfall, das der Wasserhahn nur bei ihr macht –, und sich auf dieses trockene und unbequeme Korbnest werfen. Sie kauert sich dort zusammen, als wollte sie zu einem Bündel von Lumpen werden: ihre ideale Position, um zu lernen. Sie hat nicht nach mir gesucht, als sie hereinkam, und ich auch nicht nach ihr, doch wenn ich mich nun dort blicken lasse, ist alles, was ich vorfinde, ein Raum voller Liebe. Randvoll, vollgestopft, verstopft mit Liebe. Liebe, die bis zur Dachkammer reicht, die auf den Fußboden gleitet, in den Fensterritzen steckt, sich im Eckschrank ausbreitet, wo wir die Wurst haben, die wir heute Abend essen werden. Sie ist immer das, was sie sagt, und sie tut immer das, was sie ist; und das genügt, um die Existenz der reinen Ader ihrer Liebe zu beweisen. Wenn Gott Liebe ist, und es gibt eine reiche und jahrhundertealte Theologie, die danach strebt, es zu beweisen, dann ist Nitas Präsenz im Zimmer dort der Beweis seiner Existenz. Wäre es doch nur so einfach. So wie ich bald gelernt habe, nicht über Liebesangelegenheiten zu urteilen, habe ich mit Leichtigkeit gelernt, Gott nicht zu beurteilen. Und um mich nicht in leichte Verwirrung zu bringen, vermeide ich es, auch nur seinen Namen auszusprechen. Ich meide den Glauben in Bezug auf Gott und in Bezug auf die Liebe.
Wohingegen ich an die Geschichte glaube, die mir meine Mutter von sich erzählte, als sie ein Mädchen war, zu der Zeit, als sie einem jungen Mann begegnete, der vom Amazonas hierher gekommen war. Es ist eine herrliche Geschichte.
Es war Krieg, und der Krieg hatte
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